schicklichkeit zwecklos in solches ausartete, was wir im schlimm- sten Sinne Manier, oder leere Fertigkeit der Hand nennen.
Ferner habe ich gezeigt, wie dieser verderbliche Irrthum durch den gleichzeitig entstandenen, beschränktesten Naturbegriff der Künstlersprache ein gewisses Ansehen von Richtigkeit erhal- ten, indem man nun, was in Bezug auf bestimmte Modelle wahr zu seyn schien, unbewußt auf die Gesammtheit des Er- zeugten, ja auf die zeugende Grundkraft selbst übertrug. End- lich zeigte ich, wie diese Ansichten der verwerflichsten Kunst- richtung, als Vorbegriffe, in die Systeme gelehrter Geschicht- schreiber und philosophischer Theoretiker der Kunst übergegan- gen, und diese verhindert, deutlich aufzufassen: daß die Dar- stellung der Kunst auch da, wo ihr Gegenstand der denkbar geistigste ist, nimmer auf willkührlich festgesetzten Zeichen, son- dern durchhin auf einer in der Natur gegebenen Bedeutsamkeit der organischen Formen beruhe; wie ferner eben dieselben Kunstgelehrten, den vollen Werth, die ganze Bedeutung na- türlicher Formen verkennend, und dennoch aus Vernunftgrün- den der Natur einige Rechte einräumend, auf die unentschie- dene Ansicht verfallen sind: daß Künstler nur unter gewissen Einschränkungen und Bedingungen dem Eindruck natürlicher Formen sich hingeben dürfen. Dagegen bestand ich, mit Hin- deutung auf die Erfolglosigkeit so anorganischer Verknüpfung des Natürlichen und Künstlichen der Form, auf den Grund- satz: daß Künstler sich dem Eindruck der natürlichen Formen ganz rückhaltlos hingeben müssen, sowohl weil diese die ein- zigen allgemeinfaßlichen Typen aller Darstellung durch die Form in sich einschließen, als auch, weil sie für Künstler eine un- versiegbare Quelle geistiger Anregungen sind, da auch die Natur sich gefällt, was immer der künstlerischen Auffassung
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ſchicklichkeit zwecklos in ſolches ausartete, was wir im ſchlimm- ſten Sinne Manier, oder leere Fertigkeit der Hand nennen.
Ferner habe ich gezeigt, wie dieſer verderbliche Irrthum durch den gleichzeitig entſtandenen, beſchraͤnkteſten Naturbegriff der Kuͤnſtlerſprache ein gewiſſes Anſehen von Richtigkeit erhal- ten, indem man nun, was in Bezug auf beſtimmte Modelle wahr zu ſeyn ſchien, unbewußt auf die Geſammtheit des Er- zeugten, ja auf die zeugende Grundkraft ſelbſt uͤbertrug. End- lich zeigte ich, wie dieſe Anſichten der verwerflichſten Kunſt- richtung, als Vorbegriffe, in die Syſteme gelehrter Geſchicht- ſchreiber und philoſophiſcher Theoretiker der Kunſt uͤbergegan- gen, und dieſe verhindert, deutlich aufzufaſſen: daß die Dar- ſtellung der Kunſt auch da, wo ihr Gegenſtand der denkbar geiſtigſte iſt, nimmer auf willkuͤhrlich feſtgeſetzten Zeichen, ſon- dern durchhin auf einer in der Natur gegebenen Bedeutſamkeit der organiſchen Formen beruhe; wie ferner eben dieſelben Kunſtgelehrten, den vollen Werth, die ganze Bedeutung na- tuͤrlicher Formen verkennend, und dennoch aus Vernunftgruͤn- den der Natur einige Rechte einraͤumend, auf die unentſchie- dene Anſicht verfallen ſind: daß Kuͤnſtler nur unter gewiſſen Einſchraͤnkungen und Bedingungen dem Eindruck natuͤrlicher Formen ſich hingeben duͤrfen. Dagegen beſtand ich, mit Hin- deutung auf die Erfolgloſigkeit ſo anorganiſcher Verknuͤpfung des Natuͤrlichen und Kuͤnſtlichen der Form, auf den Grund- ſatz: daß Kuͤnſtler ſich dem Eindruck der natuͤrlichen Formen ganz ruͤckhaltlos hingeben muͤſſen, ſowohl weil dieſe die ein- zigen allgemeinfaßlichen Typen aller Darſtellung durch die Form in ſich einſchließen, als auch, weil ſie fuͤr Kuͤnſtler eine un- verſiegbare Quelle geiſtiger Anregungen ſind, da auch die Natur ſich gefaͤllt, was immer der kuͤnſtleriſchen Auffaſſung
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ſchicklichkeit zwecklos in ſolches ausartete, was wir im ſchlimm-
ſten Sinne Manier, oder leere Fertigkeit der Hand nennen.
Ferner habe ich gezeigt, wie dieſer verderbliche Irrthum
durch den gleichzeitig entſtandenen, beſchraͤnkteſten Naturbegriff
der Kuͤnſtlerſprache ein gewiſſes Anſehen von Richtigkeit erhal-
ten, indem man nun, was in Bezug auf beſtimmte Modelle
wahr zu ſeyn ſchien, unbewußt auf die Geſammtheit des Er-
zeugten, ja auf die zeugende Grundkraft ſelbſt uͤbertrug. End-
lich zeigte ich, wie dieſe Anſichten der verwerflichſten Kunſt-
richtung, als Vorbegriffe, in die Syſteme gelehrter Geſchicht-
ſchreiber und philoſophiſcher Theoretiker der Kunſt uͤbergegan-
gen, und dieſe verhindert, deutlich aufzufaſſen: daß die Dar-
ſtellung der Kunſt auch da, wo ihr Gegenſtand der denkbar
geiſtigſte iſt, nimmer auf willkuͤhrlich feſtgeſetzten Zeichen, ſon-
dern durchhin auf einer in der Natur gegebenen Bedeutſamkeit
der organiſchen Formen beruhe; wie ferner eben dieſelben
Kunſtgelehrten, den vollen Werth, die ganze Bedeutung na-
tuͤrlicher Formen verkennend, und dennoch aus Vernunftgruͤn-
den der Natur einige Rechte einraͤumend, auf die unentſchie-
dene Anſicht verfallen ſind: daß Kuͤnſtler nur unter gewiſſen
Einſchraͤnkungen und Bedingungen dem Eindruck natuͤrlicher
Formen ſich hingeben duͤrfen. Dagegen beſtand ich, mit Hin-
deutung auf die Erfolgloſigkeit ſo anorganiſcher Verknuͤpfung
des Natuͤrlichen und Kuͤnſtlichen der Form, auf den Grund-
ſatz: daß Kuͤnſtler ſich dem Eindruck der natuͤrlichen Formen
ganz ruͤckhaltlos hingeben muͤſſen, ſowohl weil dieſe die ein-
zigen allgemeinfaßlichen Typen aller Darſtellung durch die Form
in ſich einſchließen, als auch, weil ſie fuͤr Kuͤnſtler eine un-
verſiegbare Quelle geiſtiger Anregungen ſind, da auch die
Natur ſich gefaͤllt, was immer der kuͤnſtleriſchen Auffaſſung
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/101>, abgerufen am 28.11.2024.
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