Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 6. Leipzig, 1839.55. Bin ich derselbe noch, den alle nun wettloben, Der, gegen den sich sonst der Tadel nur erhoben? Derselbe bin ich noch, kein andrer als ich war; Und was ihr heute preist, verwarft ihr zwanzig Jahr. 56. Viel Freunde hab' ich, die mehr meiner Poesie Als meine Freunde sind, kaum nenn' ich Freunde sie. Nur du bist ganz mein Freund, nicht meiner Poesie; Von allem sagst du mir, von meinen Versen nie. 57. Zu trösten brauch' ich dich in deinem Leiden nicht, O Freund, du tröstest mich mit heiterm Angesicht. Mit heiterm Angesicht der Erde Leiden tragen, Das ist des Himmels Licht, das läßt uns nicht verzagen. 55. Bin ich derſelbe noch, den alle nun wettloben, Der, gegen den ſich ſonſt der Tadel nur erhoben? Derſelbe bin ich noch, kein andrer als ich war; Und was ihr heute preiſt, verwarft ihr zwanzig Jahr. 56. Viel Freunde hab' ich, die mehr meiner Poeſie Als meine Freunde ſind, kaum nenn' ich Freunde ſie. Nur du biſt ganz mein Freund, nicht meiner Poeſie; Von allem ſagſt du mir, von meinen Verſen nie. 57. Zu troͤſten brauch' ich dich in deinem Leiden nicht, O Freund, du troͤſteſt mich mit heiterm Angeſicht. Mit heiterm Angeſicht der Erde Leiden tragen, Das iſt des Himmels Licht, das laͤßt uns nicht verzagen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0310" n="300"/> <div n="2"> <head>55.</head><lb/> <lg type="poem"> <l/> <lg n="1"> <l>Bin ich derſelbe noch, den alle nun wettloben,</l><lb/> <l>Der, gegen den ſich ſonſt der Tadel nur erhoben?</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Derſelbe bin ich noch, kein andrer als ich war;</l><lb/> <l>Und was ihr heute preiſt, verwarft ihr zwanzig Jahr.</l> </lg><lb/> <l/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>56.</head><lb/> <lg type="poem"> <l/> <lg n="1"> <l>Viel Freunde hab' ich, die mehr meiner Poeſie</l><lb/> <l>Als meine Freunde ſind, kaum nenn' ich Freunde ſie.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Nur du biſt ganz mein Freund, nicht meiner Poeſie;</l><lb/> <l>Von allem ſagſt du mir, von meinen Verſen nie.</l> </lg><lb/> <l/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>57.</head><lb/> <lg type="poem"> <l/> <lg n="1"> <l>Zu troͤſten brauch' ich dich in deinem Leiden nicht,</l><lb/> <l>O Freund, du troͤſteſt mich mit heiterm Angeſicht.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Mit heiterm Angeſicht der Erde Leiden tragen,</l><lb/> <l>Das iſt des Himmels Licht, das laͤßt uns nicht verzagen.</l> </lg><lb/> <l/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [300/0310]
55.
Bin ich derſelbe noch, den alle nun wettloben,
Der, gegen den ſich ſonſt der Tadel nur erhoben?
Derſelbe bin ich noch, kein andrer als ich war;
Und was ihr heute preiſt, verwarft ihr zwanzig Jahr.
56.
Viel Freunde hab' ich, die mehr meiner Poeſie
Als meine Freunde ſind, kaum nenn' ich Freunde ſie.
Nur du biſt ganz mein Freund, nicht meiner Poeſie;
Von allem ſagſt du mir, von meinen Verſen nie.
57.
Zu troͤſten brauch' ich dich in deinem Leiden nicht,
O Freund, du troͤſteſt mich mit heiterm Angeſicht.
Mit heiterm Angeſicht der Erde Leiden tragen,
Das iſt des Himmels Licht, das laͤßt uns nicht verzagen.
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