Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.80. Zweideutig ist, o Mensch, vernimm auch diese Lehre, Dein Wesen, wie der Sinn von Leichtigkeit und Schwere. Denn wo das Schwere sich macht gelten als das Wichtige, Erscheint das Leichte nur dagegen als das Nichtige. Doch ist das Leichte dann das Himmelstrebende, So ist das Schwere das am Boden klebende. Wo Schwerkraft fehlt, da ists ein Leichtes aufwertsfliegen, Doch schwer ists ohne sie im Gleichgewicht sich wiegen. Doch wo die Schnellkraft fehlt, der Schwung der Leidenschaft, Da ist zum Guten nicht, noch auch zum Bösen Kraft. Das Gute selber ist schwer anfangs, leicht zuletzt, Seit Götter Schwierigkeit der Tugend vorgesetzt. Wer sich das Leichte wählt, erreicht es leicht villeicht, Doch schwerlich neidet ihn, wer Schweres schwer erreicht. Wol leichter fertig ist nichts als Leichtfertigkeit, Doch schwer ist leichter Muth in Widerwärtigkeit. 80. Zweideutig iſt, o Menſch, vernimm auch dieſe Lehre, Dein Weſen, wie der Sinn von Leichtigkeit und Schwere. Denn wo das Schwere ſich macht gelten als das Wichtige, Erſcheint das Leichte nur dagegen als das Nichtige. Doch iſt das Leichte dann das Himmelſtrebende, So iſt das Schwere das am Boden klebende. Wo Schwerkraft fehlt, da iſts ein Leichtes aufwertsfliegen, Doch ſchwer iſts ohne ſie im Gleichgewicht ſich wiegen. Doch wo die Schnellkraft fehlt, der Schwung der Leidenſchaft, Da iſt zum Guten nicht, noch auch zum Boͤſen Kraft. Das Gute ſelber iſt ſchwer anfangs, leicht zuletzt, Seit Goͤtter Schwierigkeit der Tugend vorgeſetzt. Wer ſich das Leichte waͤhlt, erreicht es leicht villeicht, Doch ſchwerlich neidet ihn, wer Schweres ſchwer erreicht. Wol leichter fertig iſt nichts als Leichtfertigkeit, Doch ſchwer iſt leichter Muth in Widerwaͤrtigkeit. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0096" n="86"/> <div n="2"> <head>80.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Zweideutig iſt, o Menſch, vernimm auch dieſe Lehre,</l><lb/> <l>Dein Weſen, wie der Sinn von Leichtigkeit und Schwere.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Denn wo das Schwere ſich macht gelten als das Wichtige,</l><lb/> <l>Erſcheint das Leichte nur dagegen als das Nichtige.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Doch iſt das Leichte dann das Himmelſtrebende,</l><lb/> <l>So iſt das Schwere das am Boden klebende.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Wo Schwerkraft fehlt, da iſts ein Leichtes aufwertsfliegen,</l><lb/> <l>Doch ſchwer iſts ohne ſie im Gleichgewicht ſich wiegen.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Doch wo die Schnellkraft fehlt, der Schwung der Leidenſchaft,</l><lb/> <l>Da iſt zum Guten nicht, noch auch zum Boͤſen Kraft.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Das Gute ſelber iſt ſchwer anfangs, leicht zuletzt,</l><lb/> <l>Seit Goͤtter Schwierigkeit der Tugend vorgeſetzt.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Wer ſich das Leichte waͤhlt, erreicht es leicht villeicht,</l><lb/> <l>Doch ſchwerlich neidet ihn, wer Schweres ſchwer erreicht.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Wol leichter fertig iſt nichts als Leichtfertigkeit,</l><lb/> <l>Doch ſchwer iſt leichter Muth in Widerwaͤrtigkeit.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [86/0096]
80.
Zweideutig iſt, o Menſch, vernimm auch dieſe Lehre,
Dein Weſen, wie der Sinn von Leichtigkeit und Schwere.
Denn wo das Schwere ſich macht gelten als das Wichtige,
Erſcheint das Leichte nur dagegen als das Nichtige.
Doch iſt das Leichte dann das Himmelſtrebende,
So iſt das Schwere das am Boden klebende.
Wo Schwerkraft fehlt, da iſts ein Leichtes aufwertsfliegen,
Doch ſchwer iſts ohne ſie im Gleichgewicht ſich wiegen.
Doch wo die Schnellkraft fehlt, der Schwung der Leidenſchaft,
Da iſt zum Guten nicht, noch auch zum Boͤſen Kraft.
Das Gute ſelber iſt ſchwer anfangs, leicht zuletzt,
Seit Goͤtter Schwierigkeit der Tugend vorgeſetzt.
Wer ſich das Leichte waͤhlt, erreicht es leicht villeicht,
Doch ſchwerlich neidet ihn, wer Schweres ſchwer erreicht.
Wol leichter fertig iſt nichts als Leichtfertigkeit,
Doch ſchwer iſt leichter Muth in Widerwaͤrtigkeit.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/96>, abgerufen am 04.07.2024. |