Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.Der Herr sprach: Gib ihm, das gespart war meinem Mund, Und aufbewahrt sei das für dich, für Kind und Hund. Der Knecht mit Zögern gabs; er nahm's und kam zurück, Ein zweites fordert' er. "Gib ihm ein zweites Stück. Recht muß dem Diener seyn, was seinem Herrn ist recht; Laß das für Kind und Hund, und gib ihm deins, mein Knecht." Der Knecht mit Freuden gabs; er nahm's und kam zurück, Ein drittes fordert' er. "Gib ihm das dritte Stück. Daß es Enthaltsamkeit von seinem Vater lerne, Gib hin des Kindes Stück!" Der Diener gabs nicht gerne. Das Kindlein lacht' und gabs; er nahm's und kam zurück, Ein viertes fordert' er. "So gib das letzte Stück! Hab' ichs dem Knecht, dem Kind und meinem eignen Munde Entzogen, darf ichs wol entziehn auch meinem Hunde." Geduldig gabs der Knecht; er nahm's und kam nicht wieder, Doch draußen in der Luft rauscht' es wie Lenzgefieder. Ein goldner Regen floß herab vom Himmelsraum, Wo er die Flur begoß, da wuchs empor ein Baum. 3*
Der Herr ſprach: Gib ihm, das geſpart war meinem Mund, Und aufbewahrt ſei das fuͤr dich, fuͤr Kind und Hund. Der Knecht mit Zoͤgern gabs; er nahm's und kam zuruͤck, Ein zweites fordert' er. „Gib ihm ein zweites Stuͤck. Recht muß dem Diener ſeyn, was ſeinem Herrn iſt recht; Laß das fuͤr Kind und Hund, und gib ihm deins, mein Knecht.“ Der Knecht mit Freuden gabs; er nahm's und kam zuruͤck, Ein drittes fordert' er. „Gib ihm das dritte Stuͤck. Daß es Enthaltſamkeit von ſeinem Vater lerne, Gib hin des Kindes Stuͤck!“ Der Diener gabs nicht gerne. Das Kindlein lacht' und gabs; er nahm's und kam zuruͤck, Ein viertes fordert' er. „So gib das letzte Stuͤck! Hab' ichs dem Knecht, dem Kind und meinem eignen Munde Entzogen, darf ichs wol entziehn auch meinem Hunde.“ Geduldig gabs der Knecht; er nahm's und kam nicht wieder, Doch draußen in der Luft rauſcht' es wie Lenzgefieder. Ein goldner Regen floß herab vom Himmelsraum, Wo er die Flur begoß, da wuchs empor ein Baum. 3*
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Der Herr ſprach: Gib ihm, das geſpart war meinem Mund,
Und aufbewahrt ſei das fuͤr dich, fuͤr Kind und Hund.
Der Knecht mit Zoͤgern gabs; er nahm's und kam zuruͤck,
Ein zweites fordert' er. „Gib ihm ein zweites Stuͤck.
Recht muß dem Diener ſeyn, was ſeinem Herrn iſt recht;
Laß das fuͤr Kind und Hund, und gib ihm deins, mein Knecht.“
Der Knecht mit Freuden gabs; er nahm's und kam zuruͤck,
Ein drittes fordert' er. „Gib ihm das dritte Stuͤck.
Daß es Enthaltſamkeit von ſeinem Vater lerne,
Gib hin des Kindes Stuͤck!“ Der Diener gabs nicht gerne.
Das Kindlein lacht' und gabs; er nahm's und kam zuruͤck,
Ein viertes fordert' er. „So gib das letzte Stuͤck!
Hab' ichs dem Knecht, dem Kind und meinem eignen Munde
Entzogen, darf ichs wol entziehn auch meinem Hunde.“
Geduldig gabs der Knecht; er nahm's und kam nicht wieder,
Doch draußen in der Luft rauſcht' es wie Lenzgefieder.
Ein goldner Regen floß herab vom Himmelsraum,
Wo er die Flur begoß, da wuchs empor ein Baum.
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