Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein Fenster offen hier, ein Fenster offen dort,
Und Mahlzeit aufgetischt an dem und jenem Ort.
Zum einen Fenster stieg herein mit mancher Henne
Der Hahn, und pickte stolz die Körner von der Tenne.
Zum andern flog herein paarweise Taub' und Tauber,
Die lasen das Gesims von allen Krümchen sauber.
Doch unter Fittigen der eingeladnen Großen
Lief mit manch Kleineres, vom Menschen sonst verstoßen:
Der Sperling und der Fink, die Ammer und die Meise,
Ein jedes haschte flink auch einen Mundvoll Speise.
Mag Hahn und Taube nun mit Kron' und Haube pralen,
Sie müssen theur das Mahl mit ihrem Leben zahlen.
Sie werden von dem Wirth wie jeder Gast gerupft,
Und nur die Bettler sind mit heiler Haut entschlupft.

Rückert, Lehrgedicht V. 14
Ein Fenſter offen hier, ein Fenſter offen dort,
Und Mahlzeit aufgetiſcht an dem und jenem Ort.
Zum einen Fenſter ſtieg herein mit mancher Henne
Der Hahn, und pickte ſtolz die Koͤrner von der Tenne.
Zum andern flog herein paarweiſe Taub' und Tauber,
Die laſen das Geſims von allen Kruͤmchen ſauber.
Doch unter Fittigen der eingeladnen Großen
Lief mit manch Kleineres, vom Menſchen ſonſt verſtoßen:
Der Sperling und der Fink, die Ammer und die Meiſe,
Ein jedes haſchte flink auch einen Mundvoll Speiſe.
Mag Hahn und Taube nun mit Kron' und Haube pralen,
Sie muͤſſen theur das Mahl mit ihrem Leben zahlen.
Sie werden von dem Wirth wie jeder Gaſt gerupft,
Und nur die Bettler ſind mit heiler Haut entſchlupft.

Ruͤckert, Lehrgedicht V. 14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0323" n="313"/>
            <lg n="3">
              <l>Ein Fen&#x017F;ter offen hier, ein Fen&#x017F;ter offen dort,</l><lb/>
              <l>Und Mahlzeit aufgeti&#x017F;cht an dem und jenem Ort.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Zum einen Fen&#x017F;ter &#x017F;tieg herein mit mancher Henne</l><lb/>
              <l>Der Hahn, und pickte &#x017F;tolz die Ko&#x0364;rner von der Tenne.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Zum andern flog herein paarwei&#x017F;e Taub' und Tauber,</l><lb/>
              <l>Die la&#x017F;en das Ge&#x017F;ims von allen Kru&#x0364;mchen &#x017F;auber.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Doch unter Fittigen der eingeladnen Großen</l><lb/>
              <l>Lief mit manch Kleineres, vom Men&#x017F;chen &#x017F;on&#x017F;t ver&#x017F;toßen:</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>Der Sperling und der Fink, die Ammer und die Mei&#x017F;e,</l><lb/>
              <l>Ein jedes ha&#x017F;chte flink auch einen Mundvoll Spei&#x017F;e.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="8">
              <l>Mag Hahn und Taube nun mit Kron' und Haube pralen,</l><lb/>
              <l>Sie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en theur das Mahl mit ihrem Leben zahlen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="9">
              <l>Sie werden von dem Wirth wie jeder Ga&#x017F;t gerupft,</l><lb/>
              <l>Und nur die Bettler &#x017F;ind mit heiler Haut ent&#x017F;chlupft.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Ru&#x0364;ckert</hi>, Lehrgedicht V. 14</fw>
        </div><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[313/0323] Ein Fenſter offen hier, ein Fenſter offen dort, Und Mahlzeit aufgetiſcht an dem und jenem Ort. Zum einen Fenſter ſtieg herein mit mancher Henne Der Hahn, und pickte ſtolz die Koͤrner von der Tenne. Zum andern flog herein paarweiſe Taub' und Tauber, Die laſen das Geſims von allen Kruͤmchen ſauber. Doch unter Fittigen der eingeladnen Großen Lief mit manch Kleineres, vom Menſchen ſonſt verſtoßen: Der Sperling und der Fink, die Ammer und die Meiſe, Ein jedes haſchte flink auch einen Mundvoll Speiſe. Mag Hahn und Taube nun mit Kron' und Haube pralen, Sie muͤſſen theur das Mahl mit ihrem Leben zahlen. Sie werden von dem Wirth wie jeder Gaſt gerupft, Und nur die Bettler ſind mit heiler Haut entſchlupft. Ruͤckert, Lehrgedicht V. 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/323
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/323>, abgerufen am 23.11.2024.