Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.85. Nicht Alles kann der Mensch mit offnen Augen sehn, Doch manches will und muß durchs Auge nur geschehn. Dem was sich sehen läßt, schließ nicht die Augen zu; Und was sich nicht läßt sehn, im Herzen hege du. Gleich übel ist es, statt zu sehn Sichtbares träumen, Und Unsichtbarem kein Gebiet und Recht einräumen. 86. Krieg Aller gegen All' ist Sinn der Wissenschaft. Was Alles seyn will, bleibt nothwendig mangelhaft. Wo jeder will die Welt mit seiner Spann' ausspannen, In seiner Formeln Zwang die Kräft' und Geister bannen. Wo jeder Denkherr flugs den andern stößt vom Thron; Was er dem Vater that, erwartet er vom Sohn. Sie glauben alle, daß sie bis zum Ende drangen, Und jeder folgende muß an von vorne fangen. 85. Nicht Alles kann der Menſch mit offnen Augen ſehn, Doch manches will und muß durchs Auge nur geſchehn. Dem was ſich ſehen laͤßt, ſchließ nicht die Augen zu; Und was ſich nicht laͤßt ſehn, im Herzen hege du. Gleich uͤbel iſt es, ſtatt zu ſehn Sichtbares traͤumen, Und Unſichtbarem kein Gebiet und Recht einraͤumen. 86. Krieg Aller gegen All' iſt Sinn der Wiſſenſchaft. Was Alles ſeyn will, bleibt nothwendig mangelhaft. Wo jeder will die Welt mit ſeiner Spann' ausſpannen, In ſeiner Formeln Zwang die Kraͤft' und Geiſter bannen. Wo jeder Denkherr flugs den andern ſtoͤßt vom Thron; Was er dem Vater that, erwartet er vom Sohn. Sie glauben alle, daß ſie bis zum Ende drangen, Und jeder folgende muß an von vorne fangen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0295" n="285"/> <div n="2"> <head>85.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Nicht Alles kann der Menſch mit offnen Augen ſehn,</l><lb/> <l>Doch manches will und muß durchs Auge nur geſchehn.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Dem was ſich ſehen laͤßt, ſchließ nicht die Augen zu;</l><lb/> <l>Und was ſich nicht laͤßt ſehn, im Herzen hege du.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Gleich uͤbel iſt es, ſtatt zu ſehn Sichtbares traͤumen,</l><lb/> <l>Und Unſichtbarem kein Gebiet und Recht einraͤumen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>86.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Krieg Aller gegen All' iſt Sinn der Wiſſenſchaft.</l><lb/> <l>Was Alles ſeyn will, bleibt nothwendig mangelhaft.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Wo jeder will die Welt mit ſeiner Spann' ausſpannen,</l><lb/> <l>In ſeiner Formeln Zwang die Kraͤft' und Geiſter bannen.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Wo jeder Denkherr flugs den andern ſtoͤßt vom Thron;</l><lb/> <l>Was er dem Vater that, erwartet er vom Sohn.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Sie glauben alle, daß ſie bis zum Ende drangen,</l><lb/> <l>Und jeder folgende muß an von vorne fangen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [285/0295]
85.
Nicht Alles kann der Menſch mit offnen Augen ſehn,
Doch manches will und muß durchs Auge nur geſchehn.
Dem was ſich ſehen laͤßt, ſchließ nicht die Augen zu;
Und was ſich nicht laͤßt ſehn, im Herzen hege du.
Gleich uͤbel iſt es, ſtatt zu ſehn Sichtbares traͤumen,
Und Unſichtbarem kein Gebiet und Recht einraͤumen.
86.
Krieg Aller gegen All' iſt Sinn der Wiſſenſchaft.
Was Alles ſeyn will, bleibt nothwendig mangelhaft.
Wo jeder will die Welt mit ſeiner Spann' ausſpannen,
In ſeiner Formeln Zwang die Kraͤft' und Geiſter bannen.
Wo jeder Denkherr flugs den andern ſtoͤßt vom Thron;
Was er dem Vater that, erwartet er vom Sohn.
Sie glauben alle, daß ſie bis zum Ende drangen,
Und jeder folgende muß an von vorne fangen.
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