Wo er des Lebens Brunn gesucht, den er nicht fand, Drang er mit seinem Heer tief in die Felsenwand.
Da hörten sie von fern den Brunn des Lebens rauschen; Doch wo er fließ' und wie, das war nicht zu erlauschen.
Vor ihren Augen schwebt' ein falscher Wasserschein, Der führt' itzt durstig sie heraus, wie erst hinein.
Da sahen sie den Grund mit grünem Kieß bestreut; Die davon nahmen, und die nicht, hats gleich gereut.
Smaragde waren es, da sie ans Licht gekommen, Und alle reut' es, die davon nichts mitgenommen.
Mehr aber reut' es die was mitgenommen hatten, Weil sie das beste doch gelassen in den Schatten.
Denn wer die Gnüge nicht geschöpft im Lebensbronnen, Der findet, o mein Sohn, nur Reue selbst in Wonnen.
Rückert, Lehrgedicht V. 6
Wo er des Lebens Brunn geſucht, den er nicht fand, Drang er mit ſeinem Heer tief in die Felſenwand.
Da hoͤrten ſie von fern den Brunn des Lebens rauſchen; Doch wo er fließ' und wie, das war nicht zu erlauſchen.
Vor ihren Augen ſchwebt' ein falſcher Waſſerſchein, Der fuͤhrt' itzt durſtig ſie heraus, wie erſt hinein.
Da ſahen ſie den Grund mit gruͤnem Kieß beſtreut; Die davon nahmen, und die nicht, hats gleich gereut.
Smaragde waren es, da ſie ans Licht gekommen, Und alle reut' es, die davon nichts mitgenommen.
Mehr aber reut' es die was mitgenommen hatten, Weil ſie das beſte doch gelaſſen in den Schatten.
Denn wer die Gnuͤge nicht geſchoͤpft im Lebensbronnen, Der findet, o mein Sohn, nur Reue ſelbſt in Wonnen.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 6
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Wo er des Lebens Brunn geſucht, den er nicht fand,
Drang er mit ſeinem Heer tief in die Felſenwand.
Da hoͤrten ſie von fern den Brunn des Lebens rauſchen;
Doch wo er fließ' und wie, das war nicht zu erlauſchen.
Vor ihren Augen ſchwebt' ein falſcher Waſſerſchein,
Der fuͤhrt' itzt durſtig ſie heraus, wie erſt hinein.
Da ſahen ſie den Grund mit gruͤnem Kieß beſtreut;
Die davon nahmen, und die nicht, hats gleich gereut.
Smaragde waren es, da ſie ans Licht gekommen,
Und alle reut' es, die davon nichts mitgenommen.
Mehr aber reut' es die was mitgenommen hatten,
Weil ſie das beſte doch gelaſſen in den Schatten.
Denn wer die Gnuͤge nicht geſchoͤpft im Lebensbronnen,
Der findet, o mein Sohn, nur Reue ſelbſt in Wonnen.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 6
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Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/131>, abgerufen am 24.07.2024.
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