Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
59.
Es ist ein schöner Traum, im Anfang der Natur
Sei alles Lebende gewesen harmlos nur.
Und mit der Geister erst, oder des Menschen Falle,
Hab' auch hervorgekehrt die Schöpfung Klau' und Kralle.
Erst friedlich wandelten Hirsch, Elefant und Stier,
Kamel und anderes unschuldiges Gethier.
Hervorgesprungen dann sei später Löw' und Tieger,
Wie aus der Menschheit Schooß der Mörder und der Krieger;
Die nun von Blut und Raub sich ihrer Brüder nähren,
Da jene sich mit Laub und Gras begnügt und Aehren.
Die goldne Zeit wird neu, wann seinen Fraß vergißt
Der Leu einmal und Heu alswie der Ochse frißt.
War eine Unschuld das, zu essen Pflanzenspeise?
Doch eine Unschuld war es nur vergleichungsweise.
Alsob nur Leben sei, wo Athem ist und Hauch!
Die Thiere nicht allein, die Pflanzen athmen auch.
59.
Es iſt ein ſchoͤner Traum, im Anfang der Natur
Sei alles Lebende geweſen harmlos nur.
Und mit der Geiſter erſt, oder des Menſchen Falle,
Hab' auch hervorgekehrt die Schoͤpfung Klau' und Kralle.
Erſt friedlich wandelten Hirſch, Elefant und Stier,
Kamel und anderes unſchuldiges Gethier.
Hervorgeſprungen dann ſei ſpaͤter Loͤw' und Tieger,
Wie aus der Menſchheit Schooß der Moͤrder und der Krieger;
Die nun von Blut und Raub ſich ihrer Bruͤder naͤhren,
Da jene ſich mit Laub und Gras begnuͤgt und Aehren.
Die goldne Zeit wird neu, wann ſeinen Fraß vergißt
Der Leu einmal und Heu alswie der Ochſe frißt.
War eine Unſchuld das, zu eſſen Pflanzenſpeiſe?
Doch eine Unſchuld war es nur vergleichungsweiſe.
Alsob nur Leben ſei, wo Athem iſt und Hauch!
Die Thiere nicht allein, die Pflanzen athmen auch.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0170" n="160"/>
        <div n="2">
          <head>59.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Es i&#x017F;t ein &#x017F;cho&#x0364;ner Traum, im Anfang der Natur</l><lb/>
              <l>Sei alles Lebende gewe&#x017F;en harmlos nur.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Und mit der Gei&#x017F;ter er&#x017F;t, oder des Men&#x017F;chen Falle,</l><lb/>
              <l>Hab' auch hervorgekehrt die Scho&#x0364;pfung Klau' und Kralle.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Er&#x017F;t friedlich wandelten Hir&#x017F;ch, Elefant und Stier,</l><lb/>
              <l>Kamel und anderes un&#x017F;chuldiges Gethier.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Hervorge&#x017F;prungen dann &#x017F;ei &#x017F;pa&#x0364;ter Lo&#x0364;w' und Tieger,</l><lb/>
              <l>Wie aus der Men&#x017F;chheit Schooß der Mo&#x0364;rder und der Krieger;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Die nun von Blut und Raub &#x017F;ich ihrer Bru&#x0364;der na&#x0364;hren,</l><lb/>
              <l>Da jene &#x017F;ich mit Laub und Gras begnu&#x0364;gt und Aehren.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Die goldne Zeit wird neu, wann &#x017F;einen Fraß vergißt</l><lb/>
              <l>Der Leu einmal und Heu alswie der Och&#x017F;e frißt.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>War eine Un&#x017F;chuld das, zu e&#x017F;&#x017F;en Pflanzen&#x017F;pei&#x017F;e?</l><lb/>
              <l>Doch eine Un&#x017F;chuld war es nur vergleichungswei&#x017F;e.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="8">
              <l>Alsob nur Leben &#x017F;ei, wo Athem i&#x017F;t und Hauch!</l><lb/>
              <l>Die Thiere nicht allein, die Pflanzen athmen auch.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[160/0170] 59. Es iſt ein ſchoͤner Traum, im Anfang der Natur Sei alles Lebende geweſen harmlos nur. Und mit der Geiſter erſt, oder des Menſchen Falle, Hab' auch hervorgekehrt die Schoͤpfung Klau' und Kralle. Erſt friedlich wandelten Hirſch, Elefant und Stier, Kamel und anderes unſchuldiges Gethier. Hervorgeſprungen dann ſei ſpaͤter Loͤw' und Tieger, Wie aus der Menſchheit Schooß der Moͤrder und der Krieger; Die nun von Blut und Raub ſich ihrer Bruͤder naͤhren, Da jene ſich mit Laub und Gras begnuͤgt und Aehren. Die goldne Zeit wird neu, wann ſeinen Fraß vergißt Der Leu einmal und Heu alswie der Ochſe frißt. War eine Unſchuld das, zu eſſen Pflanzenſpeiſe? Doch eine Unſchuld war es nur vergleichungsweiſe. Alsob nur Leben ſei, wo Athem iſt und Hauch! Die Thiere nicht allein, die Pflanzen athmen auch.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838/170
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838/170>, abgerufen am 24.11.2024.