Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838.Der blindgewordene sieht in Erinnerungen, Der blindgeborene wird doch vom Licht durchdrungen; Dolmetschen kannst du ihm den Stral, der ihn berührt, Daß der ein geistig Bild der Welt in ihm aufführt. Im Worte wird ihm kund die Weisheit aller Weisen, Er kann mit Dichtermund die Wunder Gottes preisen. Doch diesen andern Sinn zu missen, den im Ohr, Entbehrend ewigen Weltharmonieenchor; Verlust, der schwerer schien, ersetzen kann auch ihn Theilnahme doch der anschaubaren Harmonien. Des Menschen Auge spricht dir und des Frühlings Trift, Die Sprache spricht dir selbst in ihrem Bild, der Schrift. Dem taubgebornen auch, und darum stumm geboren, Ist alle Fähigkeit der Bildung nicht verloren. Zum handeln kannst du ihn, zum denken auch erziehn; Gewiß zum Dichter nur erziehst du niemals ihn. Wer aber blind und taub zugleich ist uranfänglich, Der höhern Menschheit scheint er Menschen unempfänglich. Der blindgewordene ſieht in Erinnerungen, Der blindgeborene wird doch vom Licht durchdrungen; Dolmetſchen kannſt du ihm den Stral, der ihn beruͤhrt, Daß der ein geiſtig Bild der Welt in ihm auffuͤhrt. Im Worte wird ihm kund die Weisheit aller Weiſen, Er kann mit Dichtermund die Wunder Gottes preiſen. Doch dieſen andern Sinn zu miſſen, den im Ohr, Entbehrend ewigen Weltharmonieenchor; Verluſt, der ſchwerer ſchien, erſetzen kann auch ihn Theilnahme doch der anſchaubaren Harmonien. Des Menſchen Auge ſpricht dir und des Fruͤhlings Trift, Die Sprache ſpricht dir ſelbſt in ihrem Bild, der Schrift. Dem taubgebornen auch, und darum ſtumm geboren, Iſt alle Faͤhigkeit der Bildung nicht verloren. Zum handeln kannſt du ihn, zum denken auch erziehn; Gewiß zum Dichter nur erziehſt du niemals ihn. Wer aber blind und taub zugleich iſt uranfaͤnglich, Der hoͤhern Menſchheit ſcheint er Menſchen unempfaͤnglich. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0103" n="93"/> <lg n="3"> <l>Der blindgewordene ſieht in Erinnerungen,</l><lb/> <l>Der blindgeborene wird doch vom Licht durchdrungen;</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Dolmetſchen kannſt du ihm den Stral, der ihn beruͤhrt,</l><lb/> <l>Daß der ein geiſtig Bild der Welt in ihm auffuͤhrt.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Im Worte wird ihm kund die Weisheit aller Weiſen,</l><lb/> <l>Er kann mit Dichtermund die Wunder Gottes preiſen.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Doch dieſen andern Sinn zu miſſen, den im Ohr,</l><lb/> <l>Entbehrend ewigen Weltharmonieenchor;</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Verluſt, der ſchwerer ſchien, erſetzen kann auch ihn</l><lb/> <l>Theilnahme doch der anſchaubaren Harmonien.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Des Menſchen Auge ſpricht dir und des Fruͤhlings Trift,</l><lb/> <l>Die Sprache ſpricht dir ſelbſt in ihrem Bild, der Schrift.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Dem taubgebornen auch, und darum ſtumm geboren,</l><lb/> <l>Iſt alle Faͤhigkeit der Bildung nicht verloren.</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>Zum handeln kannſt du ihn, zum denken auch erziehn;</l><lb/> <l>Gewiß zum Dichter nur erziehſt du niemals ihn.</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>Wer aber blind und taub zugleich iſt uranfaͤnglich,</l><lb/> <l>Der hoͤhern Menſchheit ſcheint er Menſchen unempfaͤnglich.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0103]
Der blindgewordene ſieht in Erinnerungen,
Der blindgeborene wird doch vom Licht durchdrungen;
Dolmetſchen kannſt du ihm den Stral, der ihn beruͤhrt,
Daß der ein geiſtig Bild der Welt in ihm auffuͤhrt.
Im Worte wird ihm kund die Weisheit aller Weiſen,
Er kann mit Dichtermund die Wunder Gottes preiſen.
Doch dieſen andern Sinn zu miſſen, den im Ohr,
Entbehrend ewigen Weltharmonieenchor;
Verluſt, der ſchwerer ſchien, erſetzen kann auch ihn
Theilnahme doch der anſchaubaren Harmonien.
Des Menſchen Auge ſpricht dir und des Fruͤhlings Trift,
Die Sprache ſpricht dir ſelbſt in ihrem Bild, der Schrift.
Dem taubgebornen auch, und darum ſtumm geboren,
Iſt alle Faͤhigkeit der Bildung nicht verloren.
Zum handeln kannſt du ihn, zum denken auch erziehn;
Gewiß zum Dichter nur erziehſt du niemals ihn.
Wer aber blind und taub zugleich iſt uranfaͤnglich,
Der hoͤhern Menſchheit ſcheint er Menſchen unempfaͤnglich.
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