Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837.90. Du sagst, nothwendig hat das Beste Gott gemacht, Nicht besser konnte seyn die Welt hervorgebracht. Denn dem Allmächtigen, Allgütigen, Allweisen, Geziemt das Beste nur aus des Denkbaren Kreisen. Nicht einmal willst du ihm, dem Allerfreisten, gönnen Die Freiheit, daß ers auch hab' anders machen können! Ich aber sage dir, was mir ein Dichter sagte, Den ich um den Verhalt des höchsten Dichters fragte. Er sprach: die Laien hält ein Vorurteil gebunden, Wenn ein vollkommnes Werk sie haben vorgefunden, Zu meinen, daß es gar nicht anders könne seyn, Und sich am ganzen Bau nicht rücken lass' ein Stein. Am Bau, dem fertigen, ist freilich nichts zu rücken, Doch zur Verfertigung gab es gar viele Brücken. Und jeder Dichter weiß, wie gut ihm so die Sachen
Gelungen, daß er sie auch anders konnte machen. 90. Du ſagſt, nothwendig hat das Beſte Gott gemacht, Nicht beſſer konnte ſeyn die Welt hervorgebracht. Denn dem Allmaͤchtigen, Allguͤtigen, Allweiſen, Geziemt das Beſte nur aus des Denkbaren Kreiſen. Nicht einmal willſt du ihm, dem Allerfreiſten, goͤnnen Die Freiheit, daß ers auch hab' anders machen koͤnnen! Ich aber ſage dir, was mir ein Dichter ſagte, Den ich um den Verhalt des hoͤchſten Dichters fragte. Er ſprach: die Laien haͤlt ein Vorurteil gebunden, Wenn ein vollkommnes Werk ſie haben vorgefunden, Zu meinen, daß es gar nicht anders koͤnne ſeyn, Und ſich am ganzen Bau nicht ruͤcken laſſ' ein Stein. Am Bau, dem fertigen, iſt freilich nichts zu ruͤcken, Doch zur Verfertigung gab es gar viele Bruͤcken. Und jeder Dichter weiß, wie gut ihm ſo die Sachen
Gelungen, daß er ſie auch anders konnte machen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0069" n="59"/> <div n="2"> <head>90.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Du ſagſt, nothwendig hat das Beſte Gott gemacht,</l><lb/> <l>Nicht beſſer konnte ſeyn die Welt hervorgebracht.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Denn dem Allmaͤchtigen, Allguͤtigen, Allweiſen,</l><lb/> <l>Geziemt das Beſte nur aus des Denkbaren Kreiſen.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Nicht einmal willſt du ihm, dem Allerfreiſten, goͤnnen</l><lb/> <l>Die Freiheit, daß ers auch hab' anders machen koͤnnen!</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Ich aber ſage dir, was mir ein Dichter ſagte,</l><lb/> <l>Den ich um den Verhalt des hoͤchſten Dichters fragte.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Er ſprach: die Laien haͤlt ein Vorurteil gebunden,</l><lb/> <l>Wenn ein vollkommnes Werk ſie haben vorgefunden,</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Zu meinen, daß es gar nicht anders koͤnne ſeyn,</l><lb/> <l>Und ſich am ganzen Bau nicht ruͤcken laſſ' ein Stein.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Am Bau, dem fertigen, iſt freilich nichts zu ruͤcken,</l><lb/> <l>Doch zur Verfertigung gab es gar viele Bruͤcken.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Und jeder Dichter weiß, wie gut ihm ſo die Sachen</l><lb/> <l>Gelungen, daß er ſie auch anders konnte machen.</l> </lg><lb/> <l> </l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [59/0069]
90.
Du ſagſt, nothwendig hat das Beſte Gott gemacht,
Nicht beſſer konnte ſeyn die Welt hervorgebracht.
Denn dem Allmaͤchtigen, Allguͤtigen, Allweiſen,
Geziemt das Beſte nur aus des Denkbaren Kreiſen.
Nicht einmal willſt du ihm, dem Allerfreiſten, goͤnnen
Die Freiheit, daß ers auch hab' anders machen koͤnnen!
Ich aber ſage dir, was mir ein Dichter ſagte,
Den ich um den Verhalt des hoͤchſten Dichters fragte.
Er ſprach: die Laien haͤlt ein Vorurteil gebunden,
Wenn ein vollkommnes Werk ſie haben vorgefunden,
Zu meinen, daß es gar nicht anders koͤnne ſeyn,
Und ſich am ganzen Bau nicht ruͤcken laſſ' ein Stein.
Am Bau, dem fertigen, iſt freilich nichts zu ruͤcken,
Doch zur Verfertigung gab es gar viele Bruͤcken.
Und jeder Dichter weiß, wie gut ihm ſo die Sachen
Gelungen, daß er ſie auch anders konnte machen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837/69 |
Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837/69>, abgerufen am 16.02.2025. |