Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837.40. Was du verstehest, reizt dich wenig; was du nicht Verstehst, spricht dich nicht an; was willst du vom Gedicht? Du willst mit Recht, es sei verständlich-unverständlich, Vollendet an Gestalt, doch an Gehalt unendlich. 41. Die Abendröthe kam, und sah zum Tod ermattet Das Leben, Schlummer half, und sanft ward es bestattet. Die Nacht im Trauerflor, die dunkle Klagefrau, Gieng hinterdrein, und weint' aus Sternen kalten Thau. Doch Morgenröthe kam heran mit glühnden Wangen, Und rief: Wo ist mein Kind? ich glüh' es zu umfangen. Gestorben! rief die Nacht mit letztem Thränenguß.
Da weckt' es rasch vom Schlaf der Morgenröthe Kuß. 40. Was du verſteheſt, reizt dich wenig; was du nicht Verſtehſt, ſpricht dich nicht an; was willſt du vom Gedicht? Du willſt mit Recht, es ſei verſtaͤndlich-unverſtaͤndlich, Vollendet an Geſtalt, doch an Gehalt unendlich. 41. Die Abendroͤthe kam, und ſah zum Tod ermattet Das Leben, Schlummer half, und ſanft ward es beſtattet. Die Nacht im Trauerflor, die dunkle Klagefrau, Gieng hinterdrein, und weint' aus Sternen kalten Thau. Doch Morgenroͤthe kam heran mit gluͤhnden Wangen, Und rief: Wo iſt mein Kind? ich gluͤh' es zu umfangen. Geſtorben! rief die Nacht mit letztem Thraͤnenguß.
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40.
Was du verſteheſt, reizt dich wenig; was du nicht
Verſtehſt, ſpricht dich nicht an; was willſt du vom Gedicht?
Du willſt mit Recht, es ſei verſtaͤndlich-unverſtaͤndlich,
Vollendet an Geſtalt, doch an Gehalt unendlich.
41.
Die Abendroͤthe kam, und ſah zum Tod ermattet
Das Leben, Schlummer half, und ſanft ward es beſtattet.
Die Nacht im Trauerflor, die dunkle Klagefrau,
Gieng hinterdrein, und weint' aus Sternen kalten Thau.
Doch Morgenroͤthe kam heran mit gluͤhnden Wangen,
Und rief: Wo iſt mein Kind? ich gluͤh' es zu umfangen.
Geſtorben! rief die Nacht mit letztem Thraͤnenguß.
Da weckt' es raſch vom Schlaf der Morgenroͤthe Kuß.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837/36>, abgerufen am 16.02.2025. |