Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837.Auch würde dir dadurch des Kauens Kraft entrissen, Und fallen möchte dir aus offnem Mund der Bissen. Beim Lernen aber ist das Gähnen gleich erweckt; Ich sehe, daß es dir nicht wie das Essen schmeckt. Wenn gähnend sich der Mund aufthut, schließt sich das Ohr So daß es ungehört des Lehrers Wort verlor. Wenn gähnend sich der Mund aufthut, gehn zu die Augen, Daß sie des Buches Schrift nicht aufzufassen taugen. Des Lernens Süßigkeit hast du noch nicht empfunden, Sonst wäre dir die Lust zu gähnen ganz verschwunden. Das Wissen, wiß o Sohn, ist auch ein guter Bissen, Dem Seelengaumen wird durchs Gähnen er entrissen. Drum wenn beim Lernen dir ein Gähnen kommt, so hemm' es, Entschlossen mit dem Schloß der Zähne niederklemm' es! So hat es dir vorerst den Bissen nicht genommen, Und endlich wird ihm selbst die Lust vergehn zu kommen. Auch wuͤrde dir dadurch des Kauens Kraft entriſſen, Und fallen moͤchte dir aus offnem Mund der Biſſen. Beim Lernen aber iſt das Gaͤhnen gleich erweckt; Ich ſehe, daß es dir nicht wie das Eſſen ſchmeckt. Wenn gaͤhnend ſich der Mund aufthut, ſchließt ſich das Ohr So daß es ungehoͤrt des Lehrers Wort verlor. Wenn gaͤhnend ſich der Mund aufthut, gehn zu die Augen, Daß ſie des Buches Schrift nicht aufzufaſſen taugen. Des Lernens Suͤßigkeit haſt du noch nicht empfunden, Sonſt waͤre dir die Luſt zu gaͤhnen ganz verſchwunden. Das Wiſſen, wiß o Sohn, iſt auch ein guter Biſſen, Dem Seelengaumen wird durchs Gaͤhnen er entriſſen. Drum wenn beim Lernen dir ein Gaͤhnen kommt, ſo hemm' es, Entſchloſſen mit dem Schloß der Zaͤhne niederklemm' es! So hat es dir vorerſt den Biſſen nicht genommen, Und endlich wird ihm ſelbſt die Luſt vergehn zu kommen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <l> <pb facs="#f0196" n="186"/> </l> <lg n="3"> <l>Auch wuͤrde dir dadurch des Kauens Kraft entriſſen,</l><lb/> <l>Und fallen moͤchte dir aus offnem Mund der Biſſen.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Beim Lernen aber iſt das Gaͤhnen gleich erweckt;</l><lb/> <l>Ich ſehe, daß es dir nicht wie das Eſſen ſchmeckt.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Wenn gaͤhnend ſich der Mund aufthut, ſchließt ſich das Ohr</l><lb/> <l>So daß es ungehoͤrt des Lehrers Wort verlor.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Wenn gaͤhnend ſich der Mund aufthut, gehn zu die Augen,</l><lb/> <l>Daß ſie des Buches Schrift nicht aufzufaſſen taugen.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Des Lernens Suͤßigkeit haſt du noch nicht empfunden,</l><lb/> <l>Sonſt waͤre dir die Luſt zu gaͤhnen ganz verſchwunden.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Das Wiſſen, wiß o Sohn, iſt auch ein guter Biſſen,</l><lb/> <l>Dem Seelengaumen wird durchs Gaͤhnen er entriſſen.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Drum wenn beim Lernen dir ein Gaͤhnen kommt, ſo hemm' es,</l><lb/> <l>Entſchloſſen mit dem Schloß der Zaͤhne niederklemm' es!</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>So hat es dir vorerſt den Biſſen nicht genommen,</l><lb/> <l>Und endlich wird ihm ſelbſt die Luſt vergehn zu kommen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [186/0196]
Auch wuͤrde dir dadurch des Kauens Kraft entriſſen,
Und fallen moͤchte dir aus offnem Mund der Biſſen.
Beim Lernen aber iſt das Gaͤhnen gleich erweckt;
Ich ſehe, daß es dir nicht wie das Eſſen ſchmeckt.
Wenn gaͤhnend ſich der Mund aufthut, ſchließt ſich das Ohr
So daß es ungehoͤrt des Lehrers Wort verlor.
Wenn gaͤhnend ſich der Mund aufthut, gehn zu die Augen,
Daß ſie des Buches Schrift nicht aufzufaſſen taugen.
Des Lernens Suͤßigkeit haſt du noch nicht empfunden,
Sonſt waͤre dir die Luſt zu gaͤhnen ganz verſchwunden.
Das Wiſſen, wiß o Sohn, iſt auch ein guter Biſſen,
Dem Seelengaumen wird durchs Gaͤhnen er entriſſen.
Drum wenn beim Lernen dir ein Gaͤhnen kommt, ſo hemm' es,
Entſchloſſen mit dem Schloß der Zaͤhne niederklemm' es!
So hat es dir vorerſt den Biſſen nicht genommen,
Und endlich wird ihm ſelbſt die Luſt vergehn zu kommen.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837/196>, abgerufen am 05.07.2024. |