Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837.Sobald es auch nur hört von fremden Sitten sagen Und Meinungen, die nicht mit seinen sich vertragen: Zuerst erwehrt es sich andringender Gefahren Dadurch, daß es mit Stolz die Fremden nennt Barbaren. Doch halten kann nicht lang des stolzen Wahns Umschildung, Und die Einbildung schmilzt mit fortgeschrittner Bildung. Dann droht ein andrer Wahn mit näherer Gefahr: Daß in der Menschenwelt nichts sei unwandelbar. Das eine gelte hier, das andre gelte dort, Und an sich Geltendes sei drum an keinem Ort. Kein an sich Geltendes des Guten, Schönen, Rechten; Das ist der Kampf, den nun die Bildung durch muß fechten. Ihn helfe fechten, wer zuerst ihn angeregt, Weltweisheit, die die Welt vor Augen uns gelegt: Sie zeig' uns, daß die Form des Guten mancherlei, Doch stets an einem Ort nur eins das Rechte sei. Der Bildung Gipfel sei, an Fremden anerkennen Das Fremde, doch sich selbst nicht von sich selber trennen. Sobald es auch nur hoͤrt von fremden Sitten ſagen Und Meinungen, die nicht mit ſeinen ſich vertragen: Zuerſt erwehrt es ſich andringender Gefahren Dadurch, daß es mit Stolz die Fremden nennt Barbaren. Doch halten kann nicht lang des ſtolzen Wahns Umſchildung, Und die Einbildung ſchmilzt mit fortgeſchrittner Bildung. Dann droht ein andrer Wahn mit naͤherer Gefahr: Daß in der Menſchenwelt nichts ſei unwandelbar. Das eine gelte hier, das andre gelte dort, Und an ſich Geltendes ſei drum an keinem Ort. Kein an ſich Geltendes des Guten, Schoͤnen, Rechten; Das iſt der Kampf, den nun die Bildung durch muß fechten. Ihn helfe fechten, wer zuerſt ihn angeregt, Weltweisheit, die die Welt vor Augen uns gelegt: Sie zeig' uns, daß die Form des Guten mancherlei, Doch ſtets an einem Ort nur eins das Rechte ſei. Der Bildung Gipfel ſei, an Fremden anerkennen Das Fremde, doch ſich ſelbſt nicht von ſich ſelber trennen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <l> <pb facs="#f0152" n="142"/> </l> <lg n="3"> <l>Sobald es auch nur hoͤrt von fremden Sitten ſagen</l><lb/> <l>Und Meinungen, die nicht mit ſeinen ſich vertragen:</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Zuerſt erwehrt es ſich andringender Gefahren</l><lb/> <l>Dadurch, daß es mit Stolz die Fremden nennt Barbaren.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Doch halten kann nicht lang des ſtolzen Wahns Umſchildung,</l><lb/> <l>Und die Einbildung ſchmilzt mit fortgeſchrittner Bildung.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Dann droht ein andrer Wahn mit naͤherer Gefahr:</l><lb/> <l>Daß in der Menſchenwelt nichts ſei unwandelbar.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Das eine gelte hier, das andre gelte dort,</l><lb/> <l>Und an ſich Geltendes ſei drum an keinem Ort.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Kein an ſich Geltendes des Guten, Schoͤnen, Rechten;</l><lb/> <l>Das iſt der Kampf, den nun die Bildung durch muß fechten.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Ihn helfe fechten, wer zuerſt ihn angeregt,</l><lb/> <l>Weltweisheit, die die Welt vor Augen uns gelegt:</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>Sie zeig' uns, daß die Form des Guten mancherlei,</l><lb/> <l>Doch ſtets an einem Ort nur eins das Rechte ſei.</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>Der Bildung Gipfel ſei, an Fremden anerkennen</l><lb/> <l>Das Fremde, doch ſich ſelbſt nicht von ſich ſelber trennen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [142/0152]
Sobald es auch nur hoͤrt von fremden Sitten ſagen
Und Meinungen, die nicht mit ſeinen ſich vertragen:
Zuerſt erwehrt es ſich andringender Gefahren
Dadurch, daß es mit Stolz die Fremden nennt Barbaren.
Doch halten kann nicht lang des ſtolzen Wahns Umſchildung,
Und die Einbildung ſchmilzt mit fortgeſchrittner Bildung.
Dann droht ein andrer Wahn mit naͤherer Gefahr:
Daß in der Menſchenwelt nichts ſei unwandelbar.
Das eine gelte hier, das andre gelte dort,
Und an ſich Geltendes ſei drum an keinem Ort.
Kein an ſich Geltendes des Guten, Schoͤnen, Rechten;
Das iſt der Kampf, den nun die Bildung durch muß fechten.
Ihn helfe fechten, wer zuerſt ihn angeregt,
Weltweisheit, die die Welt vor Augen uns gelegt:
Sie zeig' uns, daß die Form des Guten mancherlei,
Doch ſtets an einem Ort nur eins das Rechte ſei.
Der Bildung Gipfel ſei, an Fremden anerkennen
Das Fremde, doch ſich ſelbſt nicht von ſich ſelber trennen.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837/152>, abgerufen am 25.07.2024. |