Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.74. Kann jeder doch die Welt nur seinem Sinn anpassen; Und was ich fassen soll, muß ich in Verse fassen. Drum, ob an manchem Vers von mir du habest nichts, So denk: Den hat für sich der Meister des Gedichts. Hätt' ich den Vers, an dem du nichts hast, nicht gemacht, Hätt' ich auch die, woran du viel hast, nicht erdacht. 75. Reich ist wol der Gehalt, allein die Form ist steif; Weich war die grüne Saat, hier sind die Aehren reif. -- Drei Säle schritt ich durch, gebaut im Haus der Zeit, Für Zukunft, Gegenwart, und für Vergangenheit. Im Saal der Zukunft sah ich farbige Tapeten Mit Bildern, die heraus ins Leben wollten treten. Im Saal der Gegenwart sah ich nach allen Seiten Die schon ins Leben eingetretnen Bilder schreiten. 74. Kann jeder doch die Welt nur ſeinem Sinn anpaſſen; Und was ich faſſen ſoll, muß ich in Verſe faſſen. Drum, ob an manchem Vers von mir du habeſt nichts, So denk: Den hat fuͤr ſich der Meiſter des Gedichts. Haͤtt' ich den Vers, an dem du nichts haſt, nicht gemacht, Haͤtt' ich auch die, woran du viel haſt, nicht erdacht. 75. Reich iſt wol der Gehalt, allein die Form iſt ſteif; Weich war die gruͤne Saat, hier ſind die Aehren reif. — Drei Saͤle ſchritt ich durch, gebaut im Haus der Zeit, Fuͤr Zukunft, Gegenwart, und fuͤr Vergangenheit. Im Saal der Zukunft ſah ich farbige Tapeten Mit Bildern, die heraus ins Leben wollten treten. Im Saal der Gegenwart ſah ich nach allen Seiten Die ſchon ins Leben eingetretnen Bilder ſchreiten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0071" n="61"/> <div n="2"> <head>74.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Kann jeder doch die Welt nur ſeinem Sinn anpaſſen;</l><lb/> <l>Und was ich faſſen ſoll, muß ich in Verſe faſſen.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Drum, ob an manchem Vers von mir du habeſt nichts,</l><lb/> <l>So denk: Den hat fuͤr ſich der Meiſter des Gedichts.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Haͤtt' ich den Vers, an dem du nichts haſt, nicht gemacht,</l><lb/> <l>Haͤtt' ich auch die, woran du viel haſt, nicht erdacht.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>75.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Reich iſt wol der Gehalt, allein die Form iſt ſteif;</l><lb/> <l>Weich war die gruͤne Saat, hier ſind die Aehren reif. —</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Drei Saͤle ſchritt ich durch, gebaut im Haus der Zeit,</l><lb/> <l>Fuͤr Zukunft, Gegenwart, und fuͤr Vergangenheit.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Im Saal der Zukunft ſah ich farbige Tapeten</l><lb/> <l>Mit Bildern, die heraus ins Leben wollten treten.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Im Saal der Gegenwart ſah ich nach allen Seiten</l><lb/> <l>Die ſchon ins Leben eingetretnen Bilder ſchreiten.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [61/0071]
74.
Kann jeder doch die Welt nur ſeinem Sinn anpaſſen;
Und was ich faſſen ſoll, muß ich in Verſe faſſen.
Drum, ob an manchem Vers von mir du habeſt nichts,
So denk: Den hat fuͤr ſich der Meiſter des Gedichts.
Haͤtt' ich den Vers, an dem du nichts haſt, nicht gemacht,
Haͤtt' ich auch die, woran du viel haſt, nicht erdacht.
75.
Reich iſt wol der Gehalt, allein die Form iſt ſteif;
Weich war die gruͤne Saat, hier ſind die Aehren reif. —
Drei Saͤle ſchritt ich durch, gebaut im Haus der Zeit,
Fuͤr Zukunft, Gegenwart, und fuͤr Vergangenheit.
Im Saal der Zukunft ſah ich farbige Tapeten
Mit Bildern, die heraus ins Leben wollten treten.
Im Saal der Gegenwart ſah ich nach allen Seiten
Die ſchon ins Leben eingetretnen Bilder ſchreiten.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836/71>, abgerufen am 25.07.2024. |