Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.Wir wußten, daß ein Schein es wäre, doch es drang Der Schein als Wirklichkeit sich auf, und macht' uns bang. Wir sahen, daß die Glut kein trocknes Hälmchen sehrte, Und am bethauten selbst den Tropfen Thau nicht zehrte. Die Flammen schienen nur zu schweben auf den Spitzen, Wo Blüten saßen sonst, und wieder sollten sitzen; Alsob dis Flammenspiel des Herbstes, beiderlei, Ein Sommernachspiel und ein Frühlingsvorspiel sei. Wir schritten durch die Glut, die rings empor sich bauschte, Um uns wie Ueberschwang von goldnen Aehren rauschte. Selbst mitten in der Glut war Wärme nicht zu spüren; So linde Feuer kann die Gottes Allmacht schüren. Nicht Wärme fühlten wir, doch eine milde Glut, Bewunderung der Macht, die lichte Wunder thut. Das war vom Feuergeist die zweite der Gestalten, Am schönsten aber soll die dritte sich entfalten: Wann über'm Boden selbst nicht eine Flamme bleibt, Sich jede drunten birgt, und im Verborgnen treibt; Wir wußten, daß ein Schein es waͤre, doch es drang Der Schein als Wirklichkeit ſich auf, und macht' uns bang. Wir ſahen, daß die Glut kein trocknes Haͤlmchen ſehrte, Und am bethauten ſelbſt den Tropfen Thau nicht zehrte. Die Flammen ſchienen nur zu ſchweben auf den Spitzen, Wo Bluͤten ſaßen ſonſt, und wieder ſollten ſitzen; Alsob dis Flammenſpiel des Herbſtes, beiderlei, Ein Sommernachſpiel und ein Fruͤhlingsvorſpiel ſei. Wir ſchritten durch die Glut, die rings empor ſich bauſchte, Um uns wie Ueberſchwang von goldnen Aehren rauſchte. Selbſt mitten in der Glut war Waͤrme nicht zu ſpuͤren; So linde Feuer kann die Gottes Allmacht ſchuͤren. Nicht Waͤrme fuͤhlten wir, doch eine milde Glut, Bewunderung der Macht, die lichte Wunder thut. Das war vom Feuergeiſt die zweite der Geſtalten, Am ſchoͤnſten aber ſoll die dritte ſich entfalten: Wann uͤber'm Boden ſelbſt nicht eine Flamme bleibt, Sich jede drunten birgt, und im Verborgnen treibt; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0216" n="206"/> <lg n="35"> <l>Wir wußten, daß ein Schein es waͤre, doch es drang</l><lb/> <l>Der Schein als Wirklichkeit ſich auf, und macht' uns bang.</l> </lg><lb/> <lg n="36"> <l>Wir ſahen, daß die Glut kein trocknes Haͤlmchen ſehrte,</l><lb/> <l>Und am bethauten ſelbſt den Tropfen Thau nicht zehrte.</l> </lg><lb/> <lg n="37"> <l>Die Flammen ſchienen nur zu ſchweben auf den Spitzen,</l><lb/> <l>Wo Bluͤten ſaßen ſonſt, und wieder ſollten ſitzen;</l> </lg><lb/> <lg n="38"> <l>Alsob dis Flammenſpiel des Herbſtes, beiderlei,</l><lb/> <l>Ein Sommernachſpiel und ein Fruͤhlingsvorſpiel ſei.</l> </lg><lb/> <lg n="39"> <l>Wir ſchritten durch die Glut, die rings empor ſich bauſchte,</l><lb/> <l>Um uns wie Ueberſchwang von goldnen Aehren rauſchte.</l> </lg><lb/> <lg n="40"> <l>Selbſt mitten in der Glut war Waͤrme nicht zu ſpuͤren;</l><lb/> <l>So linde Feuer kann die Gottes Allmacht ſchuͤren.</l> </lg><lb/> <lg n="41"> <l>Nicht Waͤrme fuͤhlten wir, doch eine milde Glut,</l><lb/> <l>Bewunderung der Macht, die lichte Wunder thut.</l> </lg><lb/> <lg n="42"> <l>Das war vom Feuergeiſt die zweite der Geſtalten,</l><lb/> <l>Am ſchoͤnſten aber ſoll die dritte ſich entfalten:</l> </lg><lb/> <lg n="43"> <l>Wann uͤber'm Boden ſelbſt nicht eine Flamme bleibt,</l><lb/> <l>Sich jede drunten birgt, und im Verborgnen treibt;</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [206/0216]
Wir wußten, daß ein Schein es waͤre, doch es drang
Der Schein als Wirklichkeit ſich auf, und macht' uns bang.
Wir ſahen, daß die Glut kein trocknes Haͤlmchen ſehrte,
Und am bethauten ſelbſt den Tropfen Thau nicht zehrte.
Die Flammen ſchienen nur zu ſchweben auf den Spitzen,
Wo Bluͤten ſaßen ſonſt, und wieder ſollten ſitzen;
Alsob dis Flammenſpiel des Herbſtes, beiderlei,
Ein Sommernachſpiel und ein Fruͤhlingsvorſpiel ſei.
Wir ſchritten durch die Glut, die rings empor ſich bauſchte,
Um uns wie Ueberſchwang von goldnen Aehren rauſchte.
Selbſt mitten in der Glut war Waͤrme nicht zu ſpuͤren;
So linde Feuer kann die Gottes Allmacht ſchuͤren.
Nicht Waͤrme fuͤhlten wir, doch eine milde Glut,
Bewunderung der Macht, die lichte Wunder thut.
Das war vom Feuergeiſt die zweite der Geſtalten,
Am ſchoͤnſten aber ſoll die dritte ſich entfalten:
Wann uͤber'm Boden ſelbſt nicht eine Flamme bleibt,
Sich jede drunten birgt, und im Verborgnen treibt;
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836/216>, abgerufen am 25.07.2024. |