Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.Das Raupenvolk der Zeit ist zur Verwandlung reif, Es trägt sein Todtenkreuz im falben Rückenstreif. Sie freut der Blätterfraß nicht mehr, des sie sich freuten, Es treibt sie innre Qual noch einmal sich zu häuten. Sie wechseln eine Haut, und bleiben Raupen noch, Und wechselten sie zehn, sie blieben Raupen doch. Von gift'gen Wespen sind die meisten angestochen, Lebendig innen aufgezehrt an Mark und Knochen. Und wann aus ihnen schon frei werden soll der Sohn Des Himmels, fliegt mit Hohn ein Schwarm Geschmeiß davon. Euch, zahme Räupchen, hier hat man auf Maulbeerblätter Gesetzt, vor Hagelschlag gesichert und Sturmwetter. Jetzt wollet ihr mit Ruh in eur Gespinnst euch spinnen; Dem heißen Wassertod nicht werdet ihr entrinnen. Denn billig wollen sich die Hirten, die euch weiden, Nun gegen Winterfrost in eure Seide kleiden. Die wilden Raupen dort, im Grase nicht bemerkt, In Freiheit wachsen sie, vom Hauch der Nacht gestärkt. Das Raupenvolk der Zeit iſt zur Verwandlung reif, Es traͤgt ſein Todtenkreuz im falben Ruͤckenſtreif. Sie freut der Blaͤtterfraß nicht mehr, des ſie ſich freuten, Es treibt ſie innre Qual noch einmal ſich zu haͤuten. Sie wechſeln eine Haut, und bleiben Raupen noch, Und wechſelten ſie zehn, ſie blieben Raupen doch. Von gift'gen Weſpen ſind die meiſten angeſtochen, Lebendig innen aufgezehrt an Mark und Knochen. Und wann aus ihnen ſchon frei werden ſoll der Sohn Des Himmels, fliegt mit Hohn ein Schwarm Geſchmeiß davon. Euch, zahme Raͤupchen, hier hat man auf Maulbeerblaͤtter Geſetzt, vor Hagelſchlag geſichert und Sturmwetter. Jetzt wollet ihr mit Ruh in eur Geſpinnſt euch ſpinnen; Dem heißen Waſſertod nicht werdet ihr entrinnen. Denn billig wollen ſich die Hirten, die euch weiden, Nun gegen Winterfroſt in eure Seide kleiden. Die wilden Raupen dort, im Graſe nicht bemerkt, In Freiheit wachſen ſie, vom Hauch der Nacht geſtaͤrkt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0132" n="122"/> <lg n="5"> <l>Das Raupenvolk der Zeit iſt zur Verwandlung reif,</l><lb/> <l>Es traͤgt ſein Todtenkreuz im falben Ruͤckenſtreif.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Sie freut der Blaͤtterfraß nicht mehr, des ſie ſich freuten,</l><lb/> <l>Es treibt ſie innre Qual noch einmal ſich zu haͤuten.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Sie wechſeln eine Haut, und bleiben Raupen noch,</l><lb/> <l>Und wechſelten ſie zehn, ſie blieben Raupen doch.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Von gift'gen Weſpen ſind die meiſten angeſtochen,</l><lb/> <l>Lebendig innen aufgezehrt an Mark und Knochen.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Und wann aus ihnen ſchon frei werden ſoll der Sohn</l><lb/> <l>Des Himmels, fliegt mit Hohn ein Schwarm Geſchmeiß davon.</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>Euch, zahme Raͤupchen, hier hat man auf Maulbeerblaͤtter</l><lb/> <l>Geſetzt, vor Hagelſchlag geſichert und Sturmwetter.</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>Jetzt wollet ihr mit Ruh in eur Geſpinnſt euch ſpinnen;</l><lb/> <l>Dem heißen Waſſertod nicht werdet ihr entrinnen.</l> </lg><lb/> <lg n="12"> <l>Denn billig wollen ſich die Hirten, die euch weiden,</l><lb/> <l>Nun gegen Winterfroſt in eure Seide kleiden.</l> </lg><lb/> <lg n="13"> <l>Die wilden Raupen dort, im Graſe nicht bemerkt,</l><lb/> <l>In Freiheit wachſen ſie, vom Hauch der Nacht geſtaͤrkt.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [122/0132]
Das Raupenvolk der Zeit iſt zur Verwandlung reif,
Es traͤgt ſein Todtenkreuz im falben Ruͤckenſtreif.
Sie freut der Blaͤtterfraß nicht mehr, des ſie ſich freuten,
Es treibt ſie innre Qual noch einmal ſich zu haͤuten.
Sie wechſeln eine Haut, und bleiben Raupen noch,
Und wechſelten ſie zehn, ſie blieben Raupen doch.
Von gift'gen Weſpen ſind die meiſten angeſtochen,
Lebendig innen aufgezehrt an Mark und Knochen.
Und wann aus ihnen ſchon frei werden ſoll der Sohn
Des Himmels, fliegt mit Hohn ein Schwarm Geſchmeiß davon.
Euch, zahme Raͤupchen, hier hat man auf Maulbeerblaͤtter
Geſetzt, vor Hagelſchlag geſichert und Sturmwetter.
Jetzt wollet ihr mit Ruh in eur Geſpinnſt euch ſpinnen;
Dem heißen Waſſertod nicht werdet ihr entrinnen.
Denn billig wollen ſich die Hirten, die euch weiden,
Nun gegen Winterfroſt in eure Seide kleiden.
Die wilden Raupen dort, im Graſe nicht bemerkt,
In Freiheit wachſen ſie, vom Hauch der Nacht geſtaͤrkt.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836/132>, abgerufen am 25.07.2024. |