Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

da schlimme Gewöhnungen annehmen? Was
waren die Ammen der Alten anders, welche le-
benslängliche Mitglieder des Hauses bleiben, und
eines so großen Ansehens darin genoßen, als
solche Gertruden? Freilich wenn man eine solche
Person ohne Autorität über die Kinder setzt, und
sie sich selbst keine zu geben vermag, dann ist ihre
Aufsicht eher schädlich als heilsam. So bald sie
in der Mutter Abwesenheit Stellvertreterin seyn
soll, muß auch kein Schatten von der Dienstmagd
mehr auf sie fallen, sie muß von Stund an mit
Achtung behandelt werden. Dies setzt nothwen-
dig voraus, daß sie sie wirklich verdiene. Die Aus-
führbarkeit dieser Jdee war mir nie zweifelhaft.
Noch gewißer ist sie mir geworden, seit ich Deine
Gertrud wieder gesehen. Aber sie hat auch eine
ordentliche Schule bei uns gemacht. An Jda hat
sie gesehen, daß unsere Weise die rechte sey. De-
sto sicherer folgt sie ihr nun bei den beiden Klei-
nen. Und daß sich auch diesen Menschen Rein-
lichkeit anerziehen läßt -- ein Punkt den ich am
meisten bezweifelte -- hat sie uns gleichfalls be-
wiesen. Jhr ganzes äußeres Ansehen war jetzt

da ſchlimme Gewöhnungen annehmen? Was
waren die Ammen der Alten anders, welche le-
benslängliche Mitglieder des Hauſes bleiben, und
eines ſo großen Anſehens darin genoßen, als
ſolche Gertruden? Freilich wenn man eine ſolche
Perſon ohne Autorität über die Kinder ſetzt, und
ſie ſich ſelbſt keine zu geben vermag, dann iſt ihre
Aufſicht eher ſchädlich als heilſam. So bald ſie
in der Mutter Abweſenheit Stellvertreterin ſeyn
ſoll, muß auch kein Schatten von der Dienſtmagd
mehr auf ſie fallen, ſie muß von Stund an mit
Achtung behandelt werden. Dies ſetzt nothwen-
dig voraus, daß ſie ſie wirklich verdiene. Die Aus-
führbarkeit dieſer Jdee war mir nie zweifelhaft.
Noch gewißer iſt ſie mir geworden, ſeit ich Deine
Gertrud wieder geſehen. Aber ſie hat auch eine
ordentliche Schule bei uns gemacht. An Jda hat
ſie geſehen, daß unſere Weiſe die rechte ſey. De-
ſto ſicherer folgt ſie ihr nun bei den beiden Klei-
nen. Und daß ſich auch dieſen Menſchen Rein-
lichkeit anerziehen läßt — ein Punkt den ich am
meiſten bezweifelte — hat ſie uns gleichfalls be-
wieſen. Jhr ganzes äußeres Anſehen war jetzt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0047" n="39"/>
da &#x017F;chlimme Gewöhnungen annehmen? Was<lb/>
waren die Ammen der Alten anders, welche le-<lb/>
benslängliche Mitglieder des Hau&#x017F;es bleiben, und<lb/>
eines &#x017F;o großen An&#x017F;ehens darin genoßen, als<lb/>
&#x017F;olche Gertruden? Freilich wenn man eine &#x017F;olche<lb/>
Per&#x017F;on ohne Autorität über die Kinder &#x017F;etzt, und<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t keine zu geben vermag, dann i&#x017F;t ihre<lb/>
Auf&#x017F;icht eher &#x017F;chädlich als heil&#x017F;am. So bald &#x017F;ie<lb/>
in der Mutter Abwe&#x017F;enheit Stellvertreterin &#x017F;eyn<lb/>
&#x017F;oll, muß auch kein Schatten von der Dien&#x017F;tmagd<lb/>
mehr auf &#x017F;ie fallen, &#x017F;ie muß von Stund an mit<lb/>
Achtung behandelt werden. Dies &#x017F;etzt nothwen-<lb/>
dig voraus, daß &#x017F;ie &#x017F;ie wirklich verdiene. Die Aus-<lb/>
führbarkeit die&#x017F;er Jdee war mir nie zweifelhaft.<lb/>
Noch gewißer i&#x017F;t &#x017F;ie mir geworden, &#x017F;eit ich Deine<lb/>
Gertrud wieder ge&#x017F;ehen. Aber &#x017F;ie hat auch eine<lb/>
ordentliche Schule bei uns gemacht. An Jda hat<lb/>
&#x017F;ie ge&#x017F;ehen, daß un&#x017F;ere Wei&#x017F;e die rechte &#x017F;ey. De-<lb/>
&#x017F;to &#x017F;icherer folgt &#x017F;ie ihr nun bei den beiden Klei-<lb/>
nen. Und daß &#x017F;ich auch die&#x017F;en Men&#x017F;chen Rein-<lb/>
lichkeit anerziehen läßt &#x2014; ein Punkt den ich am<lb/>
mei&#x017F;ten bezweifelte &#x2014; hat &#x017F;ie uns gleichfalls be-<lb/>
wie&#x017F;en. Jhr ganzes äußeres An&#x017F;ehen war jetzt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0047] da ſchlimme Gewöhnungen annehmen? Was waren die Ammen der Alten anders, welche le- benslängliche Mitglieder des Hauſes bleiben, und eines ſo großen Anſehens darin genoßen, als ſolche Gertruden? Freilich wenn man eine ſolche Perſon ohne Autorität über die Kinder ſetzt, und ſie ſich ſelbſt keine zu geben vermag, dann iſt ihre Aufſicht eher ſchädlich als heilſam. So bald ſie in der Mutter Abweſenheit Stellvertreterin ſeyn ſoll, muß auch kein Schatten von der Dienſtmagd mehr auf ſie fallen, ſie muß von Stund an mit Achtung behandelt werden. Dies ſetzt nothwen- dig voraus, daß ſie ſie wirklich verdiene. Die Aus- führbarkeit dieſer Jdee war mir nie zweifelhaft. Noch gewißer iſt ſie mir geworden, ſeit ich Deine Gertrud wieder geſehen. Aber ſie hat auch eine ordentliche Schule bei uns gemacht. An Jda hat ſie geſehen, daß unſere Weiſe die rechte ſey. De- ſto ſicherer folgt ſie ihr nun bei den beiden Klei- nen. Und daß ſich auch dieſen Menſchen Rein- lichkeit anerziehen läßt — ein Punkt den ich am meiſten bezweifelte — hat ſie uns gleichfalls be- wieſen. Jhr ganzes äußeres Anſehen war jetzt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/47
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/47>, abgerufen am 23.11.2024.