Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite



hängende Bild, dann zum Himmel, und ich sahe
das Vaterauge in feuchtem Glanze. Er verbarg
den nassen Blick, indem er mich mit dem Kinde
umschloß; aber ich fühlte einen Tropfen auf mei-
ner Wange -- o Clare! wie war ich so selig! es
war ja eine Freudenthräne -- welche köstliche
Perle für Deine Jda! -- Die Mutter konnte
nichts, als mich still an's Herz drücken.

Nach einem Weilchen sagte der Vater, seinen
gewöhnlichen Humor wieder findend: Mit euch
allzuglücklichen Menschen ist nichts anzufangen;
man kann euch nicht einmal etwas schenken, ihr
habt alles genug und vollauf in eurem überfrohen
Herzen. Andern jungen Weibern kann man doch
auch eine Freude machen, mit ein Paar brillan-
ten Ohrgehängen, mit einem schönen Perlenhals-
bande, oder sonst etwas, wodurch die andern ver-
dunkelt werden können; aber euch hat die böse
Tante Selma so reich gemacht, daß man bei euch
gar nichts der Art anbringen kann. Billig sollten
die Juwelier und sämmtlichen Bijouteriehändler die
Tante verklagen, denn sie müssen ja alle verar-



hängende Bild, dann zum Himmel, und ich ſahe
das Vaterauge in feuchtem Glanze. Er verbarg
den naſſen Blick, indem er mich mit dem Kinde
umſchloß; aber ich fühlte einen Tropfen auf mei-
ner Wange — o Clare! wie war ich ſo ſelig! es
war ja eine Freudenthräne — welche köſtliche
Perle für Deine Jda! — Die Mutter konnte
nichts, als mich ſtill an’s Herz drücken.

Nach einem Weilchen ſagte der Vater, ſeinen
gewöhnlichen Humor wieder findend: Mit euch
allzuglücklichen Menſchen iſt nichts anzufangen;
man kann euch nicht einmal etwas ſchenken, ihr
habt alles genug und vollauf in eurem überfrohen
Herzen. Andern jungen Weibern kann man doch
auch eine Freude machen, mit ein Paar brillan-
ten Ohrgehängen, mit einem ſchönen Perlenhals-
bande, oder ſonſt etwas, wodurch die andern ver-
dunkelt werden können; aber euch hat die böſe
Tante Selma ſo reich gemacht, daß man bei euch
gar nichts der Art anbringen kann. Billig ſollten
die Juwelier und ſämmtlichen Bijouteriehändler die
Tante verklagen, denn ſie müſſen ja alle verar-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0395" n="387"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
hängende Bild, dann zum Himmel, und ich &#x017F;ahe<lb/>
das Vaterauge in feuchtem Glanze. Er verbarg<lb/>
den na&#x017F;&#x017F;en Blick, indem er mich mit dem Kinde<lb/>
um&#x017F;chloß; aber ich fühlte einen Tropfen auf mei-<lb/>
ner Wange &#x2014; o Clare! wie war ich &#x017F;o &#x017F;elig! es<lb/>
war ja eine Freudenthräne &#x2014; welche kö&#x017F;tliche<lb/>
Perle für Deine Jda! &#x2014; Die Mutter konnte<lb/>
nichts, als mich &#x017F;till an&#x2019;s Herz drücken.</p><lb/>
          <p>Nach einem Weilchen &#x017F;agte der Vater, &#x017F;einen<lb/>
gewöhnlichen Humor wieder findend: Mit euch<lb/>
allzuglücklichen Men&#x017F;chen i&#x017F;t nichts anzufangen;<lb/>
man kann euch nicht einmal etwas &#x017F;chenken, ihr<lb/>
habt alles genug und vollauf in eurem überfrohen<lb/>
Herzen. Andern jungen Weibern kann man doch<lb/>
auch eine Freude machen, mit ein Paar brillan-<lb/>
ten Ohrgehängen, mit einem &#x017F;chönen Perlenhals-<lb/>
bande, oder &#x017F;on&#x017F;t etwas, wodurch die andern ver-<lb/>
dunkelt werden können; aber euch hat die bö&#x017F;e<lb/>
Tante Selma &#x017F;o reich gemacht, daß man bei euch<lb/>
gar nichts der Art anbringen kann. Billig &#x017F;ollten<lb/>
die Juwelier und &#x017F;ämmtlichen Bijouteriehändler die<lb/>
Tante verklagen, denn &#x017F;ie mü&#x017F;&#x017F;en ja alle verar-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[387/0395] hängende Bild, dann zum Himmel, und ich ſahe das Vaterauge in feuchtem Glanze. Er verbarg den naſſen Blick, indem er mich mit dem Kinde umſchloß; aber ich fühlte einen Tropfen auf mei- ner Wange — o Clare! wie war ich ſo ſelig! es war ja eine Freudenthräne — welche köſtliche Perle für Deine Jda! — Die Mutter konnte nichts, als mich ſtill an’s Herz drücken. Nach einem Weilchen ſagte der Vater, ſeinen gewöhnlichen Humor wieder findend: Mit euch allzuglücklichen Menſchen iſt nichts anzufangen; man kann euch nicht einmal etwas ſchenken, ihr habt alles genug und vollauf in eurem überfrohen Herzen. Andern jungen Weibern kann man doch auch eine Freude machen, mit ein Paar brillan- ten Ohrgehängen, mit einem ſchönen Perlenhals- bande, oder ſonſt etwas, wodurch die andern ver- dunkelt werden können; aber euch hat die böſe Tante Selma ſo reich gemacht, daß man bei euch gar nichts der Art anbringen kann. Billig ſollten die Juwelier und ſämmtlichen Bijouteriehändler die Tante verklagen, denn ſie müſſen ja alle verar-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/395
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/395>, abgerufen am 22.11.2024.