Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite



der Männer ausnimmt, die uns in solchen Schrif-
ten zu denken gaben, und unsern Schönheitssinn
sich selber verstehen und orientiren lehrten. Aus
diesen wenigen Schriften wähle man für das jun-
ge bildungsfähige Mädchen das heraus, was nicht
über seine Jahre vorgreifend hinausführt; man
sorge, daß sich dieses Wenige tief in die junge
Seele hineinsenke. Man lasse sie in solchen Gei-
stesprodukten nicht naschend schwelgen; es werde
ihr als gesunde Nahrung ein mäßiges und beschei-
den Theil gereicht oder vergönnt.

Zur Besserung lesen? O wehe dem jun-
gen Mädchen, das einer Besserung bedarf, wie
sie aus diesen Büchern, und überhaupt aus Bü-
chern zu erwarten stehet!

Ja, Emma, es gibt einen höchsten Licht-
punkt im Leben. Es ist das Morgenroth
der ersten Liebe, wo alle Blüthen noch
frisch bethaut sind, wo alle Sänger
der Lüfte dem Morgenrothe entgegen
jube[l]n, alle Sorgen des Tages noch



der Männer ausnimmt, die uns in ſolchen Schrif-
ten zu denken gaben, und unſern Schönheitsſinn
ſich ſelber verſtehen und orientiren lehrten. Aus
dieſen wenigen Schriften wähle man für das jun-
ge bildungsfähige Mädchen das heraus, was nicht
über ſeine Jahre vorgreifend hinausführt; man
ſorge, daß ſich dieſes Wenige tief in die junge
Seele hineinſenke. Man laſſe ſie in ſolchen Gei-
ſtesprodukten nicht naſchend ſchwelgen; es werde
ihr als geſunde Nahrung ein mäßiges und beſchei-
den Theil gereicht oder vergönnt.

Zur Beſſerung leſen? O wehe dem jun-
gen Mädchen, das einer Beſſerung bedarf, wie
ſie aus dieſen Büchern, und überhaupt aus Bü-
chern zu erwarten ſtehet!

Ja, Emma, es gibt einen höchſten Licht-
punkt im Leben. Es iſt das Morgenroth
der erſten Liebe, wo alle Blüthen noch
friſch bethaut ſind, wo alle Sänger
der Lüfte dem Morgenrothe entgegen
jube[l]n, alle Sorgen des Tages noch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0333" n="325"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
der Männer ausnimmt, die uns in &#x017F;olchen Schrif-<lb/>
ten zu denken gaben, und un&#x017F;ern Schönheits&#x017F;inn<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elber ver&#x017F;tehen und orientiren lehrten. Aus<lb/>
die&#x017F;en wenigen Schriften wähle man für das jun-<lb/>
ge bildungsfähige Mädchen das heraus, was nicht<lb/>
über &#x017F;eine Jahre vorgreifend hinausführt; man<lb/>
&#x017F;orge, daß &#x017F;ich die&#x017F;es Wenige tief in die junge<lb/>
Seele hinein&#x017F;enke. Man la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ie in &#x017F;olchen Gei-<lb/>
&#x017F;tesprodukten nicht na&#x017F;chend &#x017F;chwelgen; es werde<lb/>
ihr als ge&#x017F;unde Nahrung ein mäßiges und be&#x017F;chei-<lb/>
den Theil gereicht oder vergönnt.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Zur Be&#x017F;&#x017F;erung le&#x017F;en?</hi> O wehe dem jun-<lb/>
gen Mädchen, das einer Be&#x017F;&#x017F;erung bedarf, wie<lb/>
&#x017F;ie aus die&#x017F;en Büchern, und überhaupt aus Bü-<lb/>
chern zu erwarten &#x017F;tehet!</p><lb/>
          <p>Ja, Emma, <hi rendition="#g">es gibt einen höch&#x017F;ten Licht-<lb/>
punkt im Leben. Es i&#x017F;t das Morgenroth<lb/>
der er&#x017F;ten Liebe, wo alle Blüthen noch<lb/>
fri&#x017F;ch bethaut &#x017F;ind, wo alle Sänger<lb/>
der Lüfte dem Morgenrothe entgegen<lb/>
jube<supplied>l</supplied>n, alle Sorgen des Tages noch<lb/></hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[325/0333] der Männer ausnimmt, die uns in ſolchen Schrif- ten zu denken gaben, und unſern Schönheitsſinn ſich ſelber verſtehen und orientiren lehrten. Aus dieſen wenigen Schriften wähle man für das jun- ge bildungsfähige Mädchen das heraus, was nicht über ſeine Jahre vorgreifend hinausführt; man ſorge, daß ſich dieſes Wenige tief in die junge Seele hineinſenke. Man laſſe ſie in ſolchen Gei- ſtesprodukten nicht naſchend ſchwelgen; es werde ihr als geſunde Nahrung ein mäßiges und beſchei- den Theil gereicht oder vergönnt. Zur Beſſerung leſen? O wehe dem jun- gen Mädchen, das einer Beſſerung bedarf, wie ſie aus dieſen Büchern, und überhaupt aus Bü- chern zu erwarten ſtehet! Ja, Emma, es gibt einen höchſten Licht- punkt im Leben. Es iſt das Morgenroth der erſten Liebe, wo alle Blüthen noch friſch bethaut ſind, wo alle Sänger der Lüfte dem Morgenrothe entgegen jubeln, alle Sorgen des Tages noch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/333
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/333>, abgerufen am 22.11.2024.