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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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schien, wie ehemals -- es lag ein Schimmer der
Verklärung über alles verbreitet. O beste Tante,
wie soll ich solcher Freude werth werden. Mein
Herz ist zum Zerspringen voll.

Zürne nicht, daß ich mich in diesem Briefe so
gelobt habe; ich weiß es ja, daß ich nicht so bin,
wie der Vater und Bruno mich sehen, aber ich
mußte Dir alles berichten. Lebe wohl, allerbeste
Tante!

Bruno an die Tante Selma.

Meine theure Mutter, denn jetzt sind Sie auch
die meine; auch das verdanke ich meiner Cläre.
Und was hätte sie mir außer sich selbst kostbareres
schenken können, als das Recht, Sie Mutter zu
heißen. Welch ein Wesen haben Sie mir in mei-
ner Cläre gebildet! Könnte ich sie Jhnen nur
ganz so darstellen, wie sie ist. Jst mir's doch, als
ob nur ich den Engel kennte, und als ob jedes
andere sie durch mich kennen lernen müßte, auch
Sie, beste Tante, nicht ausgenommen. Nein,
es ist nicht möglich, daß Sie sich die ganze Hold-



ſchien, wie ehemals — es lag ein Schimmer der
Verklärung über alles verbreitet. O beſte Tante,
wie ſoll ich ſolcher Freude werth werden. Mein
Herz iſt zum Zerſpringen voll.

Zürne nicht, daß ich mich in dieſem Briefe ſo
gelobt habe; ich weiß es ja, daß ich nicht ſo bin,
wie der Vater und Bruno mich ſehen, aber ich
mußte Dir alles berichten. Lebe wohl, allerbeſte
Tante!

Bruno an die Tante Selma.

Meine theure Mutter, denn jetzt ſind Sie auch
die meine; auch das verdanke ich meiner Cläre.
Und was hätte ſie mir außer ſich ſelbſt koſtbareres
ſchenken können, als das Recht, Sie Mutter zu
heißen. Welch ein Weſen haben Sie mir in mei-
ner Cläre gebildet! Könnte ich ſie Jhnen nur
ganz ſo darſtellen, wie ſie iſt. Jſt mir’s doch, als
ob nur ich den Engel kennte, und als ob jedes
andere ſie durch mich kennen lernen müßte, auch
Sie, beſte Tante, nicht ausgenommen. Nein,
es iſt nicht möglich, daß Sie ſich die ganze Hold-

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[320/0328] ſchien, wie ehemals — es lag ein Schimmer der Verklärung über alles verbreitet. O beſte Tante, wie ſoll ich ſolcher Freude werth werden. Mein Herz iſt zum Zerſpringen voll. Zürne nicht, daß ich mich in dieſem Briefe ſo gelobt habe; ich weiß es ja, daß ich nicht ſo bin, wie der Vater und Bruno mich ſehen, aber ich mußte Dir alles berichten. Lebe wohl, allerbeſte Tante! Bruno an die Tante Selma. Meine theure Mutter, denn jetzt ſind Sie auch die meine; auch das verdanke ich meiner Cläre. Und was hätte ſie mir außer ſich ſelbſt koſtbareres ſchenken können, als das Recht, Sie Mutter zu heißen. Welch ein Weſen haben Sie mir in mei- ner Cläre gebildet! Könnte ich ſie Jhnen nur ganz ſo darſtellen, wie ſie iſt. Jſt mir’s doch, als ob nur ich den Engel kennte, und als ob jedes andere ſie durch mich kennen lernen müßte, auch Sie, beſte Tante, nicht ausgenommen. Nein, es iſt nicht möglich, daß Sie ſich die ganze Hold-

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/328>, abgerufen am 22.11.2024.