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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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selbst schwand dahin wie ein Schatten. Jhr Geist
ward immer verklärter, ihre schöne Gestalt schien
nur noch ein Phantasiebild, ohne alle irdische Kör-
perlichkeit. Hätten wir uns damals nicht alle ge-
trennt; ich wäre erlegen oder zu einem elenden
Schwächling geworden, der nichts mehr gewollt
hätte, als -- mit ihr vergehen. Du trenntest
uns, und das war sehr gut. Aber was war ge-
trennt? Waren's auch unsere Gemüther? -- Pla-
tov schwieg völlig gegen mich, und sein Schweigen
benahm mir den Muth, ihm über die Sache Rede
abzugewinnen, die doch meine ganze Seele füllte.
Er führte mich in den Städten, die wir besuchten,
in die auserlesensten Zirkel, wo wir eine Aufnah-
me fanden, wie mein feurigster Ehrgeiz sie sich
nicht geträumt hatte. Jch sah schöne Mädchen,
sehr holde, sehr liebenswürdige Geschöpfe, und
andere junge Leute flüsterten mir nicht selten ins
Ohr: ich habe eine Eroberung gemacht. -- Ver-
zeihe Deinem eitlen Jungen, Du beste Tante! --
ich war nicht erobert. Die Königin meiner Jugend
herrschte fort in meinem Gemüthe, und ließ den
liebreichen Mädchen die mir wohl wollten, nur



ſelbſt ſchwand dahin wie ein Schatten. Jhr Geiſt
ward immer verklärter, ihre ſchöne Geſtalt ſchien
nur noch ein Phantaſiebild, ohne alle irdiſche Kör-
perlichkeit. Hätten wir uns damals nicht alle ge-
trennt; ich wäre erlegen oder zu einem elenden
Schwächling geworden, der nichts mehr gewollt
hätte, als — mit ihr vergehen. Du trennteſt
uns, und das war ſehr gut. Aber was war ge-
trennt? Waren’s auch unſere Gemüther? — Pla-
tov ſchwieg völlig gegen mich, und ſein Schweigen
benahm mir den Muth, ihm über die Sache Rede
abzugewinnen, die doch meine ganze Seele füllte.
Er führte mich in den Städten, die wir beſuchten,
in die auserleſenſten Zirkel, wo wir eine Aufnah-
me fanden, wie mein feurigſter Ehrgeiz ſie ſich
nicht geträumt hatte. Jch ſah ſchöne Mädchen,
ſehr holde, ſehr liebenswürdige Geſchöpfe, und
andere junge Leute flüſterten mir nicht ſelten ins
Ohr: ich habe eine Eroberung gemacht. — Ver-
zeihe Deinem eitlen Jungen, Du beſte Tante! —
ich war nicht erobert. Die Königin meiner Jugend
herrſchte fort in meinem Gemüthe, und ließ den
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[293/0301] ſelbſt ſchwand dahin wie ein Schatten. Jhr Geiſt ward immer verklärter, ihre ſchöne Geſtalt ſchien nur noch ein Phantaſiebild, ohne alle irdiſche Kör- perlichkeit. Hätten wir uns damals nicht alle ge- trennt; ich wäre erlegen oder zu einem elenden Schwächling geworden, der nichts mehr gewollt hätte, als — mit ihr vergehen. Du trennteſt uns, und das war ſehr gut. Aber was war ge- trennt? Waren’s auch unſere Gemüther? — Pla- tov ſchwieg völlig gegen mich, und ſein Schweigen benahm mir den Muth, ihm über die Sache Rede abzugewinnen, die doch meine ganze Seele füllte. Er führte mich in den Städten, die wir beſuchten, in die auserleſenſten Zirkel, wo wir eine Aufnah- me fanden, wie mein feurigſter Ehrgeiz ſie ſich nicht geträumt hatte. Jch ſah ſchöne Mädchen, ſehr holde, ſehr liebenswürdige Geſchöpfe, und andere junge Leute flüſterten mir nicht ſelten ins Ohr: ich habe eine Eroberung gemacht. — Ver- zeihe Deinem eitlen Jungen, Du beſte Tante! — ich war nicht erobert. Die Königin meiner Jugend herrſchte fort in meinem Gemüthe, und ließ den liebreichen Mädchen die mir wohl wollten, nur

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/301>, abgerufen am 24.11.2024.