Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite



nen leben. Jch. Das ist das Neue der Sache,
es ist der zu späte Anfang, für Jhre Kinder zu le-
ben, was Sie so drückend belastet. Es ist die
Entfremdung, die zwischen Jhnen und Jhren
Töchtern entstanden war, die ganz andere Art zu
seyn, die diese Kinder unter dem Regiment der
Fleuri angenommen. Hätten sie vom Frühen an
bis jetzt ihre Töchter selbst geleitet; es würde Sie
gar nichts kosten, den Assembleen und grand
Thees zu entsagen: Sie würden unmerklich einen
andern Maaßstab des Vergnügens bekommen ha-
ben. Was Sie für Jhre Töchter jetzt unmittelbar
selbst thun, ist Opfer; was ich thue, ist Trieb, ist
Jnstinkt gewordene Gewohnheit. Kann ich mir
doch fast nicht mehr helfen, das, was ich anschaue,
in pädagogischer Hinsicht und Bedeutung bloß zu
würdigen. Wirklich, Elvire, muß ich mich scharf
hüten, daß ich bei meinem Urtheil über Menschen,
Bücher, und andere Dinge nicht unvermerkt über-
all das pädagogische Maaß und Gewicht mitbringe.
Eine solche Einseitigkeit des Urtheils wäre aller-
dings ein offenbarer Verlust, eine Einbuße des
Menschen durch den Pädagogen, das ist, ein Opfer,



nen leben. Jch. Das iſt das Neue der Sache,
es iſt der zu ſpäte Anfang, für Jhre Kinder zu le-
ben, was Sie ſo drückend belaſtet. Es iſt die
Entfremdung, die zwiſchen Jhnen und Jhren
Töchtern entſtanden war, die ganz andere Art zu
ſeyn, die dieſe Kinder unter dem Regiment der
Fleuri angenommen. Hätten ſie vom Frühen an
bis jetzt ihre Töchter ſelbſt geleitet; es würde Sie
gar nichts koſten, den Aſſembleen und grand
Thees zu entſagen: Sie würden unmerklich einen
andern Maaßſtab des Vergnügens bekommen ha-
ben. Was Sie für Jhre Töchter jetzt unmittelbar
ſelbſt thun, iſt Opfer; was ich thue, iſt Trieb, iſt
Jnſtinkt gewordene Gewohnheit. Kann ich mir
doch faſt nicht mehr helfen, das, was ich anſchaue,
in pädagogiſcher Hinſicht und Bedeutung bloß zu
würdigen. Wirklich, Elvire, muß ich mich ſcharf
hüten, daß ich bei meinem Urtheil über Menſchen,
Bücher, und andere Dinge nicht unvermerkt über-
all das pädagogiſche Maaß und Gewicht mitbringe.
Eine ſolche Einſeitigkeit des Urtheils wäre aller-
dings ein offenbarer Verluſt, eine Einbuße des
Menſchen durch den Pädagogen, das iſt, ein Opfer,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0260" n="252"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
nen leben. <hi rendition="#g">Jch</hi>. Das i&#x017F;t das Neue der Sache,<lb/>
es i&#x017F;t der zu &#x017F;päte Anfang, für Jhre Kinder zu le-<lb/>
ben, was Sie &#x017F;o drückend bela&#x017F;tet. Es i&#x017F;t die<lb/>
Entfremdung, die zwi&#x017F;chen Jhnen und Jhren<lb/>
Töchtern ent&#x017F;tanden war, die ganz andere Art zu<lb/>
&#x017F;eyn, die die&#x017F;e Kinder unter dem Regiment der<lb/>
Fleuri angenommen. Hätten &#x017F;ie vom Frühen an<lb/>
bis jetzt ihre Töchter &#x017F;elb&#x017F;t geleitet; es würde Sie<lb/>
gar nichts ko&#x017F;ten, den A&#x017F;&#x017F;embleen und <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">grand</hi></hi><lb/>
Thees zu ent&#x017F;agen: Sie würden unmerklich einen<lb/>
andern Maaß&#x017F;tab des Vergnügens bekommen ha-<lb/>
ben. Was Sie für Jhre Töchter jetzt unmittelbar<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t thun, i&#x017F;t Opfer; was ich thue, i&#x017F;t Trieb, i&#x017F;t<lb/>
Jn&#x017F;tinkt gewordene Gewohnheit. Kann ich mir<lb/>
doch fa&#x017F;t nicht mehr helfen, das, was ich an&#x017F;chaue,<lb/>
in pädagogi&#x017F;cher Hin&#x017F;icht und Bedeutung bloß zu<lb/>
würdigen. Wirklich, Elvire, muß ich mich &#x017F;charf<lb/>
hüten, daß ich bei meinem Urtheil über Men&#x017F;chen,<lb/>
Bücher, und andere Dinge nicht unvermerkt über-<lb/>
all das pädagogi&#x017F;che Maaß und Gewicht mitbringe.<lb/>
Eine &#x017F;olche Ein&#x017F;eitigkeit des Urtheils wäre aller-<lb/>
dings ein offenbarer Verlu&#x017F;t, eine Einbuße des<lb/>
Men&#x017F;chen durch den Pädagogen, das i&#x017F;t, ein Opfer,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0260] nen leben. Jch. Das iſt das Neue der Sache, es iſt der zu ſpäte Anfang, für Jhre Kinder zu le- ben, was Sie ſo drückend belaſtet. Es iſt die Entfremdung, die zwiſchen Jhnen und Jhren Töchtern entſtanden war, die ganz andere Art zu ſeyn, die dieſe Kinder unter dem Regiment der Fleuri angenommen. Hätten ſie vom Frühen an bis jetzt ihre Töchter ſelbſt geleitet; es würde Sie gar nichts koſten, den Aſſembleen und grand Thees zu entſagen: Sie würden unmerklich einen andern Maaßſtab des Vergnügens bekommen ha- ben. Was Sie für Jhre Töchter jetzt unmittelbar ſelbſt thun, iſt Opfer; was ich thue, iſt Trieb, iſt Jnſtinkt gewordene Gewohnheit. Kann ich mir doch faſt nicht mehr helfen, das, was ich anſchaue, in pädagogiſcher Hinſicht und Bedeutung bloß zu würdigen. Wirklich, Elvire, muß ich mich ſcharf hüten, daß ich bei meinem Urtheil über Menſchen, Bücher, und andere Dinge nicht unvermerkt über- all das pädagogiſche Maaß und Gewicht mitbringe. Eine ſolche Einſeitigkeit des Urtheils wäre aller- dings ein offenbarer Verluſt, eine Einbuße des Menſchen durch den Pädagogen, das iſt, ein Opfer,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/260
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/260>, abgerufen am 25.11.2024.