vor noch nie gehört. Wirst Du auch dies Deinem Gemahl zeigen? Doch ja, laß es ihn nur lesen, und laß ihn dann kommen und sehen, ob es mit Recht gesprochen sey, sobald er will; sag' ihm, daß ich seinen schärfsten Blick nicht scheue. Halt ihn nur recht in Furcht vor der gestrengen Tante, da- mit er uns die Kathinka nicht gar zu willenskräftig werden lasse. Da kommt eben Seraphine aus dem Garten gelaufen, klettert hinten auf meinen Stuhl, hält mir die Augen zu, und will daß ich rathe an was für eine Blume sie mich riechen läßt; mit den Worten: ich Tante nicht sage, daß es eine Rose ist. Jetzt ist es aber vorbei mit dem Schreiben. Lebe wohl. Die Kleine läßt nicht mehr von mir, und ich nicht von ihr!
Siebenzigster Brief.
Unsere Reisenden müssen nun bald hier seyn. Jch danke Deinem Gemahl für seine offene und ganz liberale Erklärung über Woldemar und Jda,
vor noch nie gehört. Wirſt Du auch dies Deinem Gemahl zeigen? Doch ja, laß es ihn nur leſen, und laß ihn dann kommen und ſehen, ob es mit Recht geſprochen ſey, ſobald er will; ſag’ ihm, daß ich ſeinen ſchärfſten Blick nicht ſcheue. Halt ihn nur recht in Furcht vor der geſtrengen Tante, da- mit er uns die Kathinka nicht gar zu willenskräftig werden laſſe. Da kommt eben Seraphine aus dem Garten gelaufen, klettert hinten auf meinen Stuhl, hält mir die Augen zu, und will daß ich rathe an was für eine Blume ſie mich riechen läßt; mit den Worten: ich Tante nicht ſage, daß es eine Roſe iſt. Jetzt iſt es aber vorbei mit dem Schreiben. Lebe wohl. Die Kleine läßt nicht mehr von mir, und ich nicht von ihr!
Siebenzigſter Brief.
Unſere Reiſenden müſſen nun bald hier ſeyn. Jch danke Deinem Gemahl für ſeine offene und ganz liberale Erklärung über Woldemar und Jda,
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vor noch nie gehört. Wirſt Du auch dies Deinem
Gemahl zeigen? Doch ja, laß es ihn nur leſen,
und laß ihn dann kommen und ſehen, ob es mit
Recht geſprochen ſey, ſobald er will; ſag’ ihm, daß
ich ſeinen ſchärfſten Blick nicht ſcheue. Halt ihn
nur recht in Furcht vor der geſtrengen Tante, da-
mit er uns die Kathinka nicht gar zu willenskräftig
werden laſſe. Da kommt eben Seraphine aus dem
Garten gelaufen, klettert hinten auf meinen Stuhl,
hält mir die Augen zu, und will daß ich rathe an
was für eine Blume ſie mich riechen läßt; mit den
Worten: ich Tante nicht ſage, daß es eine Roſe
iſt. Jetzt iſt es aber vorbei mit dem Schreiben.
Lebe wohl. Die Kleine läßt nicht mehr von mir,
und ich nicht von ihr!
Siebenzigſter Brief.
Unſere Reiſenden müſſen nun bald hier ſeyn.
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/247>, abgerufen am 16.02.2025.
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