Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite



ten die sonst so gute Lisel doch noch erst selbst erzie-
hen, wenn sie uns hier gar nichts verderben
sollte. Wir bleiben also selbst während der köstli-
chen Frühlingstage mehr im Zimmer, und sagen
uns dabei: wie wär' es, wenn wir gar keinen Gar-
ten hätten! -- Jn einigen Tagen wird das schon
anders seyn, Seraphine wird wieder hinaus ver-
langen; und im andern Falle wechseln wir ab und
gehen parthieweise spazieren. Jst Seraphine wie-
der frisch, dann soll sie sich ganz an die Lebensweise
der Gesellschaft gewöhnen, und viel mit uns im
Freien seyn. Hier hast Du nun, liebste Emma,
sogleich diese Frage beantwortet, wie ich meine
Mädchen in der Erziehungskunst unterrichte. --
Erziehungskunst -- Erziehungswissenschaft -- wie
mir die Worte so seltsam hohl klingen! Jch weiß
wohl, daß man solcher Worte oft nicht entrathen
kann. Aber wenn ein noch so glänzender Preis
darauf stünde, wenn mir ein Kranz aus Sternen
geflochten und mein Name hineingeschrieben wer-
den sollte, ich wüßte die Sache in kein System
zu bringen, ihr keine wissenschaftliche Form zu
geben, also auch nicht in bestimmten Stunden



ten die ſonſt ſo gute Liſel doch noch erſt ſelbſt erzie-
hen, wenn ſie uns hier gar nichts verderben
ſollte. Wir bleiben alſo ſelbſt während der köſtli-
chen Frühlingstage mehr im Zimmer, und ſagen
uns dabei: wie wär’ es, wenn wir gar keinen Gar-
ten hätten! — Jn einigen Tagen wird das ſchon
anders ſeyn, Seraphine wird wieder hinaus ver-
langen; und im andern Falle wechſeln wir ab und
gehen parthieweiſe ſpazieren. Jſt Seraphine wie-
der friſch, dann ſoll ſie ſich ganz an die Lebensweiſe
der Geſellſchaft gewöhnen, und viel mit uns im
Freien ſeyn. Hier haſt Du nun, liebſte Emma,
ſogleich dieſe Frage beantwortet, wie ich meine
Mädchen in der Erziehungskunſt unterrichte. —
Erziehungskunſt — Erziehungswiſſenſchaft — wie
mir die Worte ſo ſeltſam hohl klingen! Jch weiß
wohl, daß man ſolcher Worte oft nicht entrathen
kann. Aber wenn ein noch ſo glänzender Preis
darauf ſtünde, wenn mir ein Kranz aus Sternen
geflochten und mein Name hineingeſchrieben wer-
den ſollte, ich wüßte die Sache in kein Syſtem
zu bringen, ihr keine wiſſenſchaftliche Form zu
geben, alſo auch nicht in beſtimmten Stunden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0239" n="231"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
ten die &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o gute Li&#x017F;el doch noch er&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t erzie-<lb/>
hen, wenn &#x017F;ie uns hier gar nichts verderben<lb/>
&#x017F;ollte. Wir bleiben al&#x017F;o &#x017F;elb&#x017F;t während der kö&#x017F;tli-<lb/>
chen Frühlingstage mehr im Zimmer, und &#x017F;agen<lb/>
uns dabei: wie wär&#x2019; es, wenn wir gar keinen Gar-<lb/>
ten hätten! &#x2014; Jn einigen Tagen wird das &#x017F;chon<lb/>
anders &#x017F;eyn, Seraphine wird wieder hinaus ver-<lb/>
langen; und im andern Falle wech&#x017F;eln wir ab und<lb/>
gehen parthiewei&#x017F;e &#x017F;pazieren. J&#x017F;t Seraphine wie-<lb/>
der fri&#x017F;ch, dann &#x017F;oll &#x017F;ie &#x017F;ich ganz an die Lebenswei&#x017F;e<lb/>
der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft gewöhnen, und viel mit uns im<lb/>
Freien &#x017F;eyn. Hier ha&#x017F;t Du nun, lieb&#x017F;te Emma,<lb/>
&#x017F;ogleich die&#x017F;e Frage beantwortet, wie ich meine<lb/>
Mädchen in der Erziehungskun&#x017F;t unterrichte. &#x2014;<lb/>
Erziehungskun&#x017F;t &#x2014; Erziehungswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x2014; wie<lb/>
mir die Worte &#x017F;o &#x017F;elt&#x017F;am hohl klingen! Jch weiß<lb/>
wohl, daß man &#x017F;olcher Worte oft nicht entrathen<lb/>
kann. Aber wenn ein noch &#x017F;o glänzender Preis<lb/>
darauf &#x017F;tünde, wenn mir ein Kranz aus Sternen<lb/>
geflochten und mein Name hineinge&#x017F;chrieben wer-<lb/>
den &#x017F;ollte, ich wüßte die Sache in kein Sy&#x017F;tem<lb/>
zu bringen, ihr keine wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Form zu<lb/>
geben, al&#x017F;o auch nicht in be&#x017F;timmten Stunden<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0239] ten die ſonſt ſo gute Liſel doch noch erſt ſelbſt erzie- hen, wenn ſie uns hier gar nichts verderben ſollte. Wir bleiben alſo ſelbſt während der köſtli- chen Frühlingstage mehr im Zimmer, und ſagen uns dabei: wie wär’ es, wenn wir gar keinen Gar- ten hätten! — Jn einigen Tagen wird das ſchon anders ſeyn, Seraphine wird wieder hinaus ver- langen; und im andern Falle wechſeln wir ab und gehen parthieweiſe ſpazieren. Jſt Seraphine wie- der friſch, dann ſoll ſie ſich ganz an die Lebensweiſe der Geſellſchaft gewöhnen, und viel mit uns im Freien ſeyn. Hier haſt Du nun, liebſte Emma, ſogleich dieſe Frage beantwortet, wie ich meine Mädchen in der Erziehungskunſt unterrichte. — Erziehungskunſt — Erziehungswiſſenſchaft — wie mir die Worte ſo ſeltſam hohl klingen! Jch weiß wohl, daß man ſolcher Worte oft nicht entrathen kann. Aber wenn ein noch ſo glänzender Preis darauf ſtünde, wenn mir ein Kranz aus Sternen geflochten und mein Name hineingeſchrieben wer- den ſollte, ich wüßte die Sache in kein Syſtem zu bringen, ihr keine wiſſenſchaftliche Form zu geben, alſo auch nicht in beſtimmten Stunden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/239
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/239>, abgerufen am 21.11.2024.