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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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oder laß sie die Fischchen mit der magnetischen An-
gel fangen, oder was Du sonst schickliches zuerst
ergreifen magst, thu' es nur gleich, ehe das Ver-
langen nach der Scheere zu einer fixen Jdee gewor-
den ist. Hast Du den Moment versäumt, und
verwirft sie was Du ihr vorhälst, dann gehe mit
ihr hinaus, laß sie die Hühner füttern oder sonst
etwas thun, das sie zerstreut. Aber setze sie
selbst in Thätigkeit. Glückt Dir auch das nicht,
so bleibe nur ernsthaft, liebkose ihr nicht, sondern
bringe sie gleich zu mir: Du weißt, daß sie mir
noch nie den Gehorsam versagt, und bei mir noch
nicht ein einzigmal geschrieen hat. "Tante, das
ist es eben was ich gar nicht recht begreife, daß sie
Dir allein im Augenblick gehorcht, und doch fürchtet
sie sich gar nicht vor Dir. Wie ist denn das nun,
daß sie sogleich nachgibt, wenn Du sprichst, ja
wenn Du sie nur ansiehest?" Weil sie bei mir im-
mer dieselbe ruhige Festigkeit gesehen. Diese be-
merken Kinder, selbst ganz kleine, sehr leicht, und
wagen nie etwas dagegen. Auch mag ihnen ein
dunkles Gefühl wohl sagen, daß sie dem reiferen
Alter öfter eigen ist, als der noch weichen Jugend,



oder laß ſie die Fiſchchen mit der magnetiſchen An-
gel fangen, oder was Du ſonſt ſchickliches zuerſt
ergreifen magſt, thu’ es nur gleich, ehe das Ver-
langen nach der Scheere zu einer fixen Jdee gewor-
den iſt. Haſt Du den Moment verſäumt, und
verwirft ſie was Du ihr vorhälſt, dann gehe mit
ihr hinaus, laß ſie die Hühner füttern oder ſonſt
etwas thun, das ſie zerſtreut. Aber ſetze ſie
ſelbſt in Thätigkeit. Glückt Dir auch das nicht,
ſo bleibe nur ernſthaft, liebkoſe ihr nicht, ſondern
bringe ſie gleich zu mir: Du weißt, daß ſie mir
noch nie den Gehorſam verſagt, und bei mir noch
nicht ein einzigmal geſchrieen hat. „Tante, das
iſt es eben was ich gar nicht recht begreife, daß ſie
Dir allein im Augenblick gehorcht, und doch fürchtet
ſie ſich gar nicht vor Dir. Wie iſt denn das nun,
daß ſie ſogleich nachgibt, wenn Du ſprichſt, ja
wenn Du ſie nur anſieheſt?‟ Weil ſie bei mir im-
mer dieſelbe ruhige Feſtigkeit geſehen. Dieſe be-
merken Kinder, ſelbſt ganz kleine, ſehr leicht, und
wagen nie etwas dagegen. Auch mag ihnen ein
dunkles Gefühl wohl ſagen, daß ſie dem reiferen
Alter öfter eigen iſt, als der noch weichen Jugend,

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[229/0237] oder laß ſie die Fiſchchen mit der magnetiſchen An- gel fangen, oder was Du ſonſt ſchickliches zuerſt ergreifen magſt, thu’ es nur gleich, ehe das Ver- langen nach der Scheere zu einer fixen Jdee gewor- den iſt. Haſt Du den Moment verſäumt, und verwirft ſie was Du ihr vorhälſt, dann gehe mit ihr hinaus, laß ſie die Hühner füttern oder ſonſt etwas thun, das ſie zerſtreut. Aber ſetze ſie ſelbſt in Thätigkeit. Glückt Dir auch das nicht, ſo bleibe nur ernſthaft, liebkoſe ihr nicht, ſondern bringe ſie gleich zu mir: Du weißt, daß ſie mir noch nie den Gehorſam verſagt, und bei mir noch nicht ein einzigmal geſchrieen hat. „Tante, das iſt es eben was ich gar nicht recht begreife, daß ſie Dir allein im Augenblick gehorcht, und doch fürchtet ſie ſich gar nicht vor Dir. Wie iſt denn das nun, daß ſie ſogleich nachgibt, wenn Du ſprichſt, ja wenn Du ſie nur anſieheſt?‟ Weil ſie bei mir im- mer dieſelbe ruhige Feſtigkeit geſehen. Dieſe be- merken Kinder, ſelbſt ganz kleine, ſehr leicht, und wagen nie etwas dagegen. Auch mag ihnen ein dunkles Gefühl wohl ſagen, daß ſie dem reiferen Alter öfter eigen iſt, als der noch weichen Jugend,

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/237>, abgerufen am 18.12.2024.