Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.wohl einsehen. Aber wenn ich das arme welke Knöspchen ansehe, wie es das Köpfchen hängt, dann kann ich nicht, wie ich gern will, dann möcht' ich lieber den peinlichsten Schmerz leiden, als nein sagen, zu dem was Seraphinchen will. So leide denn Schmerz, liebste Jda, um Seraphinen für die Zukunft Schmerz zu ersparen, und sage herzhaft nein, wenn sie etwas will, das man ihr nicht ge- statten darf, sobald sie wieder ganz frisch ist. Su- che aber dies nein sogleich durch irgend eine kleine Freude vergessen zu machen, ohne daß sie eigent- lich merkt, daß es Ersatz seyn soll, denn sonst wür- de sie bald nach dem angewöhnten Ersatze so unge- duldig schreien, als sie jetzt nach dem Gegenstande ihrer kleinen Phantasie schreiet. Z. B. wenn ich nicht gleich im Zimmer wäre, und sie wollte mit einer Scheere spielen, die Hertha etwa liegen gelas- sen -- sie muß sie nicht haben, auch wenn sie in der Scheide steckt und das Kind sich nicht leicht da- mit verwunden könnte -- sie muß sie nicht haben! Hast Du aber ein Stück Geld zur Hand, so spiele ihr damit vor, oder tritt mit ihr ans Klavier, und singe ihr etwas, oder spiele Ball mit ihr, wohl einſehen. Aber wenn ich das arme welke Knöspchen anſehe, wie es das Köpfchen hängt, dann kann ich nicht, wie ich gern will, dann möcht’ ich lieber den peinlichſten Schmerz leiden, als nein ſagen, zu dem was Seraphinchen will. So leide denn Schmerz, liebſte Jda, um Seraphinen für die Zukunft Schmerz zu erſparen, und ſage herzhaft nein, wenn ſie etwas will, das man ihr nicht ge- ſtatten darf, ſobald ſie wieder ganz friſch iſt. Su- che aber dies nein ſogleich durch irgend eine kleine Freude vergeſſen zu machen, ohne daß ſie eigent- lich merkt, daß es Erſatz ſeyn ſoll, denn ſonſt wür- de ſie bald nach dem angewöhnten Erſatze ſo unge- duldig ſchreien, als ſie jetzt nach dem Gegenſtande ihrer kleinen Phantaſie ſchreiet. Z. B. wenn ich nicht gleich im Zimmer wäre, und ſie wollte mit einer Scheere ſpielen, die Hertha etwa liegen gelaſ- ſen — ſie muß ſie nicht haben, auch wenn ſie in der Scheide ſteckt und das Kind ſich nicht leicht da- mit verwunden könnte — ſie muß ſie nicht haben! Haſt Du aber ein Stück Geld zur Hand, ſo ſpiele ihr damit vor, oder tritt mit ihr ans Klavier, und ſinge ihr etwas, oder ſpiele Ball mit ihr, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0236" n="228"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> wohl einſehen. Aber wenn ich das arme welke<lb/> Knöspchen anſehe, wie es das Köpfchen hängt,<lb/> dann kann ich nicht, wie ich gern will, dann möcht’<lb/> ich lieber den peinlichſten Schmerz leiden, als nein<lb/> ſagen, zu dem was Seraphinchen will. So leide<lb/> denn Schmerz, liebſte Jda, um Seraphinen für die<lb/> Zukunft Schmerz zu erſparen, und ſage herzhaft<lb/> nein, wenn ſie etwas will, das man ihr nicht ge-<lb/> ſtatten darf, ſobald ſie wieder ganz friſch iſt. Su-<lb/> che aber dies nein ſogleich durch irgend eine kleine<lb/> Freude vergeſſen zu machen, ohne daß ſie eigent-<lb/> lich merkt, daß es Erſatz ſeyn ſoll, denn ſonſt wür-<lb/> de ſie bald nach dem angewöhnten Erſatze ſo unge-<lb/> duldig ſchreien, als ſie jetzt nach dem Gegenſtande<lb/> ihrer kleinen Phantaſie ſchreiet. Z. B. wenn ich<lb/> nicht gleich im Zimmer wäre, und ſie wollte mit<lb/> einer Scheere ſpielen, die Hertha etwa liegen gelaſ-<lb/> ſen — ſie muß ſie nicht haben, auch wenn ſie in<lb/> der Scheide ſteckt und das Kind ſich nicht leicht da-<lb/> mit verwunden könnte — ſie muß ſie nicht haben!<lb/> Haſt Du aber ein Stück Geld zur Hand, ſo ſpiele<lb/> ihr damit vor, oder tritt mit ihr ans Klavier,<lb/> und ſinge ihr etwas, oder ſpiele Ball mit ihr,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [228/0236]
wohl einſehen. Aber wenn ich das arme welke
Knöspchen anſehe, wie es das Köpfchen hängt,
dann kann ich nicht, wie ich gern will, dann möcht’
ich lieber den peinlichſten Schmerz leiden, als nein
ſagen, zu dem was Seraphinchen will. So leide
denn Schmerz, liebſte Jda, um Seraphinen für die
Zukunft Schmerz zu erſparen, und ſage herzhaft
nein, wenn ſie etwas will, das man ihr nicht ge-
ſtatten darf, ſobald ſie wieder ganz friſch iſt. Su-
che aber dies nein ſogleich durch irgend eine kleine
Freude vergeſſen zu machen, ohne daß ſie eigent-
lich merkt, daß es Erſatz ſeyn ſoll, denn ſonſt wür-
de ſie bald nach dem angewöhnten Erſatze ſo unge-
duldig ſchreien, als ſie jetzt nach dem Gegenſtande
ihrer kleinen Phantaſie ſchreiet. Z. B. wenn ich
nicht gleich im Zimmer wäre, und ſie wollte mit
einer Scheere ſpielen, die Hertha etwa liegen gelaſ-
ſen — ſie muß ſie nicht haben, auch wenn ſie in
der Scheide ſteckt und das Kind ſich nicht leicht da-
mit verwunden könnte — ſie muß ſie nicht haben!
Haſt Du aber ein Stück Geld zur Hand, ſo ſpiele
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und ſinge ihr etwas, oder ſpiele Ball mit ihr,
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