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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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und darum umgibt sie den Fähnrich beständig --
"und darum soll auch Hertha ihn nicht neckisch anse-
hen, und wenn er ein auch so lächerliches Närr-
chen wäre. Nicht wahr Tante?" Ja, Hertha,
ich fodre von Dir, daß Dir die Schwesterliebe ei-
ner andern heilig sey -- und daß Du mit Deinem
losgelaßnen Muthwillen nie mehr die Freude ei-
nes schönen Herzens trübst. Denke nur, wie
sehnlich und wie lange Mathilde sich auf diese
Tage schon voraus gefreut hat! und wolltest Du
der Kobold seyn, der sie schadenfroh störte? Nein
gewiß nicht, Tante, verlaß Dich auf Hertha. Aber
Tante, warum könnens denn die Schwestern so gar
nicht vertragen, daß der Bruder im mindesten an-
gefochten werde? Das hat außer der schönen Schwe-
sterliebe wohl noch einen besondern Grund, liebe
Hertha. O welchen? -- Als einst in Birkenfeld ein
stößiger Stier auf Dich zu kam, und Du ganz
außer Dir warst vor Entsetzen -- zu wem rann-
test Du? und wer schwang Dich über die Mauer
in den Garten, und wehrte mit seinem Hirschfän-
ger den Stier ab? Es war Bruno, bei dem Du
Schutz suchtest und fandest. Und wer riß Dich

und darum umgibt ſie den Fähnrich beſtändig —
„und darum ſoll auch Hertha ihn nicht neckiſch anſe-
hen, und wenn er ein auch ſo lächerliches Närr-
chen wäre. Nicht wahr Tante?‟ Ja, Hertha,
ich fodre von Dir, daß Dir die Schweſterliebe ei-
ner andern heilig ſey — und daß Du mit Deinem
losgelaßnen Muthwillen nie mehr die Freude ei-
nes ſchönen Herzens trübſt. Denke nur, wie
ſehnlich und wie lange Mathilde ſich auf dieſe
Tage ſchon voraus gefreut hat! und wollteſt Du
der Kobold ſeyn, der ſie ſchadenfroh ſtörte? Nein
gewiß nicht, Tante, verlaß Dich auf Hertha. Aber
Tante, warum könnens denn die Schweſtern ſo gar
nicht vertragen, daß der Bruder im mindeſten an-
gefochten werde? Das hat außer der ſchönen Schwe-
ſterliebe wohl noch einen beſondern Grund, liebe
Hertha. O welchen? — Als einſt in Birkenfeld ein
ſtößiger Stier auf Dich zu kam, und Du ganz
außer Dir warſt vor Entſetzen — zu wem rann-
teſt Du? und wer ſchwang Dich über die Mauer
in den Garten, und wehrte mit ſeinem Hirſchfän-
ger den Stier ab? Es war Bruno, bei dem Du
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[165/0173] und darum umgibt ſie den Fähnrich beſtändig — „und darum ſoll auch Hertha ihn nicht neckiſch anſe- hen, und wenn er ein auch ſo lächerliches Närr- chen wäre. Nicht wahr Tante?‟ Ja, Hertha, ich fodre von Dir, daß Dir die Schweſterliebe ei- ner andern heilig ſey — und daß Du mit Deinem losgelaßnen Muthwillen nie mehr die Freude ei- nes ſchönen Herzens trübſt. Denke nur, wie ſehnlich und wie lange Mathilde ſich auf dieſe Tage ſchon voraus gefreut hat! und wollteſt Du der Kobold ſeyn, der ſie ſchadenfroh ſtörte? Nein gewiß nicht, Tante, verlaß Dich auf Hertha. Aber Tante, warum könnens denn die Schweſtern ſo gar nicht vertragen, daß der Bruder im mindeſten an- gefochten werde? Das hat außer der ſchönen Schwe- ſterliebe wohl noch einen beſondern Grund, liebe Hertha. O welchen? — Als einſt in Birkenfeld ein ſtößiger Stier auf Dich zu kam, und Du ganz außer Dir warſt vor Entſetzen — zu wem rann- teſt Du? und wer ſchwang Dich über die Mauer in den Garten, und wehrte mit ſeinem Hirſchfän- ger den Stier ab? Es war Bruno, bei dem Du Schutz ſuchteſt und fandeſt. Und wer riß Dich

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/173>, abgerufen am 21.11.2024.