Bänkchen, das von Waldreben überhangen ist. Man übersieht von da den ganzen Garten und sieht auf den See hinaus. Mathilde und der Fähnrich gingen Arm in Arm in einiger Ferne vorüber. Es ist doch was köstliches einen Bruder zu haben, fing ich an, wie die Mathilde jetzt so glücklich ist! Wie sie so schön an den Bruder geschmiegt dahin wan- delt! -- Ja, Tante, das weiß ich auch, wie man da so glücklich ist! Wenn ich den Bruno nicht hätte, ich möchte nicht leben. Das sieht man Dir aber nicht immer an, daß Du ihn so gar lieb hast. Oft scheint es, Du habest Deinen Muthwillen lieber als den Bruder, wenn Du ihn so recht auf den Bruno loslässest.
O darüber habe ich mich schon oft geärgert, aber ich kann es nicht lassen, ihn zu necken, wenn er so unbändig vernünftig -- gravitätisch meyne ich -- und so weise ist. Wenn ihn aber ein andres neck- te, dann würde ich sehr böse werden, und wenn es selbst Jda wäre, ich könnte unartig gegen sie seyn. Nun sieh, Hertha, gerade so wie Dir's da zu Muthe wird, so ist es jetzt auch Mathilden,
Bänkchen, das von Waldreben überhangen iſt. Man überſieht von da den ganzen Garten und ſieht auf den See hinaus. Mathilde und der Fähnrich gingen Arm in Arm in einiger Ferne vorüber. Es iſt doch was köſtliches einen Bruder zu haben, fing ich an, wie die Mathilde jetzt ſo glücklich iſt! Wie ſie ſo ſchön an den Bruder geſchmiegt dahin wan- delt! — Ja, Tante, das weiß ich auch, wie man da ſo glücklich iſt! Wenn ich den Bruno nicht hätte, ich möchte nicht leben. Das ſieht man Dir aber nicht immer an, daß Du ihn ſo gar lieb haſt. Oft ſcheint es, Du habeſt Deinen Muthwillen lieber als den Bruder, wenn Du ihn ſo recht auf den Bruno losläſſeſt.
O darüber habe ich mich ſchon oft geärgert, aber ich kann es nicht laſſen, ihn zu necken, wenn er ſo unbändig vernünftig — gravitätiſch meyne ich — und ſo weiſe iſt. Wenn ihn aber ein andres neck- te, dann würde ich ſehr böſe werden, und wenn es ſelbſt Jda wäre, ich könnte unartig gegen ſie ſeyn. Nun ſieh, Hertha, gerade ſo wie Dir’s da zu Muthe wird, ſo iſt es jetzt auch Mathilden,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0172"n="164"/>
Bänkchen, das von Waldreben überhangen iſt.<lb/>
Man überſieht von da den ganzen Garten und ſieht<lb/>
auf den See hinaus. Mathilde und der Fähnrich<lb/>
gingen Arm in Arm in einiger Ferne vorüber. Es<lb/>
iſt doch was köſtliches einen Bruder zu haben, fing<lb/>
ich an, wie die Mathilde jetzt ſo glücklich iſt! Wie<lb/>ſie ſo ſchön an den Bruder geſchmiegt dahin wan-<lb/>
delt! — Ja, Tante, das weiß ich auch, wie man<lb/>
da ſo glücklich iſt! Wenn ich den Bruno nicht hätte,<lb/>
ich möchte nicht leben. Das ſieht man Dir aber<lb/>
nicht immer an, daß Du ihn ſo gar lieb haſt. Oft<lb/>ſcheint es, Du habeſt Deinen Muthwillen lieber<lb/>
als den Bruder, wenn Du ihn ſo recht auf den<lb/>
Bruno losläſſeſt.</p><lb/><p>O darüber habe ich mich ſchon oft geärgert, aber<lb/>
ich kann es nicht laſſen, ihn zu necken, wenn er<lb/>ſo unbändig vernünftig — gravitätiſch meyne ich —<lb/>
und ſo weiſe iſt. Wenn ihn aber ein andres neck-<lb/>
te, dann würde ich ſehr böſe werden, und wenn<lb/>
es ſelbſt Jda wäre, ich könnte unartig gegen ſie<lb/>ſeyn. Nun ſieh, Hertha, gerade ſo wie Dir’s da<lb/>
zu Muthe wird, ſo iſt es jetzt auch Mathilden,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[164/0172]
Bänkchen, das von Waldreben überhangen iſt.
Man überſieht von da den ganzen Garten und ſieht
auf den See hinaus. Mathilde und der Fähnrich
gingen Arm in Arm in einiger Ferne vorüber. Es
iſt doch was köſtliches einen Bruder zu haben, fing
ich an, wie die Mathilde jetzt ſo glücklich iſt! Wie
ſie ſo ſchön an den Bruder geſchmiegt dahin wan-
delt! — Ja, Tante, das weiß ich auch, wie man
da ſo glücklich iſt! Wenn ich den Bruno nicht hätte,
ich möchte nicht leben. Das ſieht man Dir aber
nicht immer an, daß Du ihn ſo gar lieb haſt. Oft
ſcheint es, Du habeſt Deinen Muthwillen lieber
als den Bruder, wenn Du ihn ſo recht auf den
Bruno losläſſeſt.
O darüber habe ich mich ſchon oft geärgert, aber
ich kann es nicht laſſen, ihn zu necken, wenn er
ſo unbändig vernünftig — gravitätiſch meyne ich —
und ſo weiſe iſt. Wenn ihn aber ein andres neck-
te, dann würde ich ſehr böſe werden, und wenn
es ſelbſt Jda wäre, ich könnte unartig gegen ſie
ſeyn. Nun ſieh, Hertha, gerade ſo wie Dir’s da
zu Muthe wird, ſo iſt es jetzt auch Mathilden,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/172>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.