ward ich auf eine gar liebe Art überrascht. Der Pfarrer hatte nämlich in dem Fenster meines Schreibekabinettchens, das dicht an mein Schlaf- zimmer stoßt, eine Aeolsharfe eingespannt, wo- mit er mir ein Geschenk machte.
Jch hatte ihn gebeten, mich mit Sonnenauf- gang wecken zu lassen. Die Fenster gehen nach der Morgenseite heraus. Kurz vor Sonnenauf- gang erhob sich ein starker Luftzug, der die Harfe in verschiedenen auf einander folgenden Bewegun- gen berührte, und es entstand dieses Eingreifen einer Tonfolge in die andere, die von einer drit- ten und vierten eingeholt, begleitet und aufgelös't ward, und mit einander in sanftem Vergehen ver- schmolz -- ich erwachte -- aber die Vorempfin- dung der Töne vor dem völligen Erwachen, ver- mischt mit den wirklich gehörten, die in manich- faltigen Modulationen immer noch fort und im- mer wieder von neuem ertönten, gaben meinem Morgentraum von einer andern Welt im ewigen Frühlingsglanze eine Dauer von mehreren Mi- nuten über den Schlaf hinaus, bis die Sonne
ward ich auf eine gar liebe Art überraſcht. Der Pfarrer hatte nämlich in dem Fenſter meines Schreibekabinettchens, das dicht an mein Schlaf- zimmer ſtoßt, eine Aeolsharfe eingeſpannt, wo- mit er mir ein Geſchenk machte.
Jch hatte ihn gebeten, mich mit Sonnenauf- gang wecken zu laſſen. Die Fenſter gehen nach der Morgenſeite heraus. Kurz vor Sonnenauf- gang erhob ſich ein ſtarker Luftzug, der die Harfe in verſchiedenen auf einander folgenden Bewegun- gen berührte, und es entſtand dieſes Eingreifen einer Tonfolge in die andere, die von einer drit- ten und vierten eingeholt, begleitet und aufgelöſ’t ward, und mit einander in ſanftem Vergehen ver- ſchmolz — ich erwachte — aber die Vorempfin- dung der Töne vor dem völligen Erwachen, ver- miſcht mit den wirklich gehörten, die in manich- faltigen Modulationen immer noch fort und im- mer wieder von neuem ertönten, gaben meinem Morgentraum von einer andern Welt im ewigen Frühlingsglanze eine Dauer von mehreren Mi- nuten über den Schlaf hinaus, bis die Sonne
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0015"n="7"/>
ward ich auf eine gar liebe Art überraſcht. Der<lb/>
Pfarrer hatte nämlich in dem Fenſter meines<lb/>
Schreibekabinettchens, das dicht an mein Schlaf-<lb/>
zimmer ſtoßt, eine Aeolsharfe eingeſpannt, wo-<lb/>
mit er mir ein Geſchenk machte.</p><lb/><p>Jch hatte ihn gebeten, mich mit Sonnenauf-<lb/>
gang wecken zu laſſen. Die Fenſter gehen nach<lb/>
der Morgenſeite heraus. Kurz vor Sonnenauf-<lb/>
gang erhob ſich ein ſtarker Luftzug, der die Harfe<lb/>
in verſchiedenen auf einander folgenden Bewegun-<lb/>
gen berührte, und es entſtand dieſes Eingreifen<lb/>
einer Tonfolge in die andere, die von einer drit-<lb/>
ten und vierten eingeholt, begleitet und aufgelöſ’t<lb/>
ward, und mit einander in ſanftem Vergehen ver-<lb/>ſchmolz — ich erwachte — aber die Vorempfin-<lb/>
dung der Töne vor dem völligen Erwachen, ver-<lb/>
miſcht mit den wirklich gehörten, die in manich-<lb/>
faltigen Modulationen immer noch fort und im-<lb/>
mer wieder von neuem ertönten, gaben meinem<lb/>
Morgentraum von einer andern Welt im ewigen<lb/>
Frühlingsglanze eine Dauer von mehreren Mi-<lb/>
nuten über den Schlaf hinaus, bis die Sonne<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[7/0015]
ward ich auf eine gar liebe Art überraſcht. Der
Pfarrer hatte nämlich in dem Fenſter meines
Schreibekabinettchens, das dicht an mein Schlaf-
zimmer ſtoßt, eine Aeolsharfe eingeſpannt, wo-
mit er mir ein Geſchenk machte.
Jch hatte ihn gebeten, mich mit Sonnenauf-
gang wecken zu laſſen. Die Fenſter gehen nach
der Morgenſeite heraus. Kurz vor Sonnenauf-
gang erhob ſich ein ſtarker Luftzug, der die Harfe
in verſchiedenen auf einander folgenden Bewegun-
gen berührte, und es entſtand dieſes Eingreifen
einer Tonfolge in die andere, die von einer drit-
ten und vierten eingeholt, begleitet und aufgelöſ’t
ward, und mit einander in ſanftem Vergehen ver-
ſchmolz — ich erwachte — aber die Vorempfin-
dung der Töne vor dem völligen Erwachen, ver-
miſcht mit den wirklich gehörten, die in manich-
faltigen Modulationen immer noch fort und im-
mer wieder von neuem ertönten, gaben meinem
Morgentraum von einer andern Welt im ewigen
Frühlingsglanze eine Dauer von mehreren Mi-
nuten über den Schlaf hinaus, bis die Sonne
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/15>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.