Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

hören. Jch nehme sie alle mit ins selige Land,
diese Blicke, diese Worte der Liebe. Nicht wahr,
Herrmann, beim Orion, oder wo Gott sonst will,
finden wir uns wieder? -- Sage es mir noch ein-
mal, daß wir uns alle wieder haben werden,
wenn auch ihr von der irdischen Morgenröthe
scheidet. -- Aber noch dürft ihr nicht zu mir kom-
men! Die Erde bedarf solcher Menschen noch,
wie ihr seyd, -- und die Erde -- ist sie nicht auch
ein Tempel Gottes? -- Nein, ihr dürft noch nicht
zu mir kommen." -- "Aber ich darf es, Mutter,
ich habe hier nichts mehr zu schaffen, wenn du
hinweg geeilt bist." -- Jch winkte Betty flehend,
ihres Vaters zu schonen. -- "Wie habt ihr mich
alle so himmlisch geliebt! -- Betty, du mußt noch
lange bei dem Vater bleiben, denn der Vater darf
noch nicht von seinen Pfarrkindern scheiden; -- alle
wissen den Weg noch nicht recht, den sie gehen sol-
len. O wie hätte ich dich so gern noch einmal zu
Allen reden gehört von dem Wege, der zum Leben
führt -- zum Leben, dem ich so ganz nahe bin. --
Jch kann nur nicht reden, sonst würde ich euch
wohl sagen, wie es um dieses Leben stehe; -- ich

hören. Jch nehme ſie alle mit ins ſelige Land,
dieſe Blicke, dieſe Worte der Liebe. Nicht wahr,
Herrmann, beim Orion, oder wo Gott ſonſt will,
finden wir uns wieder? — Sage es mir noch ein-
mal, daß wir uns alle wieder haben werden,
wenn auch ihr von der irdiſchen Morgenröthe
ſcheidet. — Aber noch dürft ihr nicht zu mir kom-
men! Die Erde bedarf ſolcher Menſchen noch,
wie ihr ſeyd, — und die Erde — iſt ſie nicht auch
ein Tempel Gottes? — Nein, ihr dürft noch nicht
zu mir kommen.‟ — „Aber ich darf es, Mutter,
ich habe hier nichts mehr zu ſchaffen, wenn du
hinweg geeilt biſt.‟ — Jch winkte Betty flehend,
ihres Vaters zu ſchonen. — „Wie habt ihr mich
alle ſo himmliſch geliebt! — Betty, du mußt noch
lange bei dem Vater bleiben, denn der Vater darf
noch nicht von ſeinen Pfarrkindern ſcheiden; — alle
wiſſen den Weg noch nicht recht, den ſie gehen ſol-
len. O wie hätte ich dich ſo gern noch einmal zu
Allen reden gehört von dem Wege, der zum Leben
führt — zum Leben, dem ich ſo ganz nahe bin. —
Jch kann nur nicht reden, ſonſt würde ich euch
wohl ſagen, wie es um dieſes Leben ſtehe; — ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0114" n="106"/>
hören. Jch nehme &#x017F;ie alle mit ins &#x017F;elige Land,<lb/>
die&#x017F;e Blicke, die&#x017F;e Worte der Liebe. Nicht wahr,<lb/>
Herrmann, beim Orion, oder wo Gott &#x017F;on&#x017F;t will,<lb/>
finden wir uns wieder? &#x2014; Sage es mir noch ein-<lb/>
mal, daß wir uns alle wieder haben werden,<lb/>
wenn auch ihr von der irdi&#x017F;chen Morgenröthe<lb/>
&#x017F;cheidet. &#x2014; Aber noch dürft ihr nicht zu mir kom-<lb/>
men! Die Erde bedarf &#x017F;olcher Men&#x017F;chen noch,<lb/>
wie ihr &#x017F;eyd, &#x2014; und die Erde &#x2014; i&#x017F;t &#x017F;ie nicht auch<lb/>
ein Tempel Gottes? &#x2014; Nein, ihr dürft noch nicht<lb/>
zu mir kommen.&#x201F; &#x2014; &#x201E;Aber ich darf es, Mutter,<lb/>
ich habe hier nichts mehr zu &#x017F;chaffen, wenn du<lb/>
hinweg geeilt bi&#x017F;t.&#x201F; &#x2014; Jch winkte Betty flehend,<lb/>
ihres Vaters zu &#x017F;chonen. &#x2014; &#x201E;Wie habt ihr mich<lb/>
alle &#x017F;o himmli&#x017F;ch geliebt! &#x2014; Betty, du mußt noch<lb/>
lange bei dem Vater bleiben, denn der Vater darf<lb/>
noch nicht von &#x017F;einen Pfarrkindern &#x017F;cheiden; &#x2014; alle<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en den Weg noch nicht recht, den &#x017F;ie gehen &#x017F;ol-<lb/>
len. O wie hätte ich dich &#x017F;o gern noch einmal zu<lb/>
Allen reden gehört von dem Wege, der zum Leben<lb/>
führt &#x2014; zum Leben, dem ich &#x017F;o ganz nahe bin. &#x2014;<lb/>
Jch kann nur nicht reden, &#x017F;on&#x017F;t würde ich euch<lb/>
wohl &#x017F;agen, wie es um die&#x017F;es Leben &#x017F;tehe; &#x2014; ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0114] hören. Jch nehme ſie alle mit ins ſelige Land, dieſe Blicke, dieſe Worte der Liebe. Nicht wahr, Herrmann, beim Orion, oder wo Gott ſonſt will, finden wir uns wieder? — Sage es mir noch ein- mal, daß wir uns alle wieder haben werden, wenn auch ihr von der irdiſchen Morgenröthe ſcheidet. — Aber noch dürft ihr nicht zu mir kom- men! Die Erde bedarf ſolcher Menſchen noch, wie ihr ſeyd, — und die Erde — iſt ſie nicht auch ein Tempel Gottes? — Nein, ihr dürft noch nicht zu mir kommen.‟ — „Aber ich darf es, Mutter, ich habe hier nichts mehr zu ſchaffen, wenn du hinweg geeilt biſt.‟ — Jch winkte Betty flehend, ihres Vaters zu ſchonen. — „Wie habt ihr mich alle ſo himmliſch geliebt! — Betty, du mußt noch lange bei dem Vater bleiben, denn der Vater darf noch nicht von ſeinen Pfarrkindern ſcheiden; — alle wiſſen den Weg noch nicht recht, den ſie gehen ſol- len. O wie hätte ich dich ſo gern noch einmal zu Allen reden gehört von dem Wege, der zum Leben führt — zum Leben, dem ich ſo ganz nahe bin. — Jch kann nur nicht reden, ſonſt würde ich euch wohl ſagen, wie es um dieſes Leben ſtehe; — ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/114
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/114>, abgerufen am 24.11.2024.