Auf Jda's Frage (wenn sie sie einst thun soll- te:) Mutter, warum muß ich denn alle Tage et- was arbeiten? wüßt' ich keine bessere Antwort, als die: Weil du sonst lange Weile haben, und aus langer Weile unvernünftig seyn könntest, und ich dich dann strafen müßte.
Wenn sie aber fragen sollte: "Liebe Mutter, warum willst du denn nicht, daß ich mit Catha- rine ausgehe? ich höre doch so gern, was die Leute auf der Straße sprechen!" -- Dann würde ich mich auf kein Darum einlassen, sondern mein Verbot ernstlicher wiederholen, und ihr dabei sa- gen, daß sie die Ursache noch nicht begreifen könne, daß es aber fest dabei bleibe, daß sie nie ohne mich oder Gertrud ausgehe.
Ein Haupthinderniß des kindlichen Gehorsams sind gewöhnlich die vielen, oft sehr unnöthigen Verbote, die den Kleinen alle ihre Wünsche mit Dornen umzäunen, und sie zum gewaltsamen Durchbrechen nöthigen, falls sie nicht in jämmer- liche Jndolenz versinken, die alles über sich er-
(9)
Auf Jda’s Frage (wenn ſie ſie einſt thun ſoll- te:) Mutter, warum muß ich denn alle Tage et- was arbeiten? wüßt’ ich keine beſſere Antwort, als die: Weil du ſonſt lange Weile haben, und aus langer Weile unvernünftig ſeyn könnteſt, und ich dich dann ſtrafen müßte.
Wenn ſie aber fragen ſollte: „Liebe Mutter, warum willſt du denn nicht, daß ich mit Catha- rine ausgehe? ich höre doch ſo gern, was die Leute auf der Straße ſprechen!‟ — Dann würde ich mich auf kein Darum einlaſſen, ſondern mein Verbot ernſtlicher wiederholen, und ihr dabei ſa- gen, daß ſie die Urſache noch nicht begreifen könne, daß es aber feſt dabei bleibe, daß ſie nie ohne mich oder Gertrud ausgehe.
Ein Haupthinderniß des kindlichen Gehorſams ſind gewöhnlich die vielen, oft ſehr unnöthigen Verbote, die den Kleinen alle ihre Wünſche mit Dornen umzäunen, und ſie zum gewaltſamen Durchbrechen nöthigen, falls ſie nicht in jämmer- liche Jndolenz verſinken, die alles über ſich er-
(9)
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0079"n="65"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Auf Jda’s Frage (wenn ſie ſie einſt thun ſoll-<lb/>
te:) Mutter, warum muß ich denn alle Tage et-<lb/>
was arbeiten? wüßt’ ich keine beſſere Antwort,<lb/>
als die: Weil du ſonſt lange Weile haben, und aus<lb/>
langer Weile unvernünftig ſeyn könnteſt, und ich<lb/>
dich dann ſtrafen müßte.</p><lb/><p>Wenn ſie aber fragen ſollte: „Liebe Mutter,<lb/>
warum willſt du denn nicht, daß ich mit Catha-<lb/>
rine ausgehe? ich höre doch ſo gern, was die<lb/>
Leute auf der Straße ſprechen!‟— Dann würde ich<lb/>
mich auf kein Darum einlaſſen, ſondern mein<lb/>
Verbot ernſtlicher wiederholen, und ihr dabei ſa-<lb/>
gen, daß ſie die Urſache noch nicht begreifen könne,<lb/>
daß es aber feſt dabei bleibe, daß ſie nie ohne<lb/>
mich oder Gertrud ausgehe.</p><lb/><p>Ein Haupthinderniß des kindlichen Gehorſams<lb/>ſind gewöhnlich die vielen, oft ſehr unnöthigen<lb/>
Verbote, die den Kleinen alle ihre Wünſche mit<lb/>
Dornen umzäunen, und ſie zum gewaltſamen<lb/>
Durchbrechen nöthigen, falls ſie nicht in jämmer-<lb/>
liche Jndolenz verſinken, die alles über ſich er-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">(9)</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[65/0079]
Auf Jda’s Frage (wenn ſie ſie einſt thun ſoll-
te:) Mutter, warum muß ich denn alle Tage et-
was arbeiten? wüßt’ ich keine beſſere Antwort,
als die: Weil du ſonſt lange Weile haben, und aus
langer Weile unvernünftig ſeyn könnteſt, und ich
dich dann ſtrafen müßte.
Wenn ſie aber fragen ſollte: „Liebe Mutter,
warum willſt du denn nicht, daß ich mit Catha-
rine ausgehe? ich höre doch ſo gern, was die
Leute auf der Straße ſprechen!‟ — Dann würde ich
mich auf kein Darum einlaſſen, ſondern mein
Verbot ernſtlicher wiederholen, und ihr dabei ſa-
gen, daß ſie die Urſache noch nicht begreifen könne,
daß es aber feſt dabei bleibe, daß ſie nie ohne
mich oder Gertrud ausgehe.
Ein Haupthinderniß des kindlichen Gehorſams
ſind gewöhnlich die vielen, oft ſehr unnöthigen
Verbote, die den Kleinen alle ihre Wünſche mit
Dornen umzäunen, und ſie zum gewaltſamen
Durchbrechen nöthigen, falls ſie nicht in jämmer-
liche Jndolenz verſinken, die alles über ſich er-
(9)
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/79>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.