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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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Auf Jda's Frage (wenn sie sie einst thun soll-
te:) Mutter, warum muß ich denn alle Tage et-
was arbeiten? wüßt' ich keine bessere Antwort,
als die: Weil du sonst lange Weile haben, und aus
langer Weile unvernünftig seyn könntest, und ich
dich dann strafen müßte.

Wenn sie aber fragen sollte: "Liebe Mutter,
warum willst du denn nicht, daß ich mit Catha-
rine ausgehe? ich höre doch so gern, was die
Leute auf der Straße sprechen!" -- Dann würde ich
mich auf kein Darum einlassen, sondern mein
Verbot ernstlicher wiederholen, und ihr dabei sa-
gen, daß sie die Ursache noch nicht begreifen könne,
daß es aber fest dabei bleibe, daß sie nie ohne
mich oder Gertrud ausgehe.

Ein Haupthinderniß des kindlichen Gehorsams
sind gewöhnlich die vielen, oft sehr unnöthigen
Verbote, die den Kleinen alle ihre Wünsche mit
Dornen umzäunen, und sie zum gewaltsamen
Durchbrechen nöthigen, falls sie nicht in jämmer-
liche Jndolenz versinken, die alles über sich er-

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Auf Jda’s Frage (wenn ſie ſie einſt thun ſoll-
te:) Mutter, warum muß ich denn alle Tage et-
was arbeiten? wüßt’ ich keine beſſere Antwort,
als die: Weil du ſonſt lange Weile haben, und aus
langer Weile unvernünftig ſeyn könnteſt, und ich
dich dann ſtrafen müßte.

Wenn ſie aber fragen ſollte: „Liebe Mutter,
warum willſt du denn nicht, daß ich mit Catha-
rine ausgehe? ich höre doch ſo gern, was die
Leute auf der Straße ſprechen!‟ — Dann würde ich
mich auf kein Darum einlaſſen, ſondern mein
Verbot ernſtlicher wiederholen, und ihr dabei ſa-
gen, daß ſie die Urſache noch nicht begreifen könne,
daß es aber feſt dabei bleibe, daß ſie nie ohne
mich oder Gertrud ausgehe.

Ein Haupthinderniß des kindlichen Gehorſams
ſind gewöhnlich die vielen, oft ſehr unnöthigen
Verbote, die den Kleinen alle ihre Wünſche mit
Dornen umzäunen, und ſie zum gewaltſamen
Durchbrechen nöthigen, falls ſie nicht in jämmer-
liche Jndolenz verſinken, die alles über ſich er-

(9)
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[65/0079] Auf Jda’s Frage (wenn ſie ſie einſt thun ſoll- te:) Mutter, warum muß ich denn alle Tage et- was arbeiten? wüßt’ ich keine beſſere Antwort, als die: Weil du ſonſt lange Weile haben, und aus langer Weile unvernünftig ſeyn könnteſt, und ich dich dann ſtrafen müßte. Wenn ſie aber fragen ſollte: „Liebe Mutter, warum willſt du denn nicht, daß ich mit Catha- rine ausgehe? ich höre doch ſo gern, was die Leute auf der Straße ſprechen!‟ — Dann würde ich mich auf kein Darum einlaſſen, ſondern mein Verbot ernſtlicher wiederholen, und ihr dabei ſa- gen, daß ſie die Urſache noch nicht begreifen könne, daß es aber feſt dabei bleibe, daß ſie nie ohne mich oder Gertrud ausgehe. Ein Haupthinderniß des kindlichen Gehorſams ſind gewöhnlich die vielen, oft ſehr unnöthigen Verbote, die den Kleinen alle ihre Wünſche mit Dornen umzäunen, und ſie zum gewaltſamen Durchbrechen nöthigen, falls ſie nicht in jämmer- liche Jndolenz verſinken, die alles über ſich er- (9)

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/79>, abgerufen am 22.11.2024.