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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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Mathilde. Ja, wenn wir nun aber kein
eigentliches Wohlwollen für einen Menschen ha-
ben? Es gibt doch Menschen genug, die man
nicht lieben kann.

Jch. Wenn wir auch keine eigentliche Liebe
haben können, so fühlen wir doch in unserm Jn-
nern, daß wir Wohlwollen haben sollten. Denn
jeder Mensch, auch der verdorbenste, soll uns
als Mitgeschöpf noch werth bleiben, und dies
allgemeine Wohlwollen für alles was Menschen
heißt, das wir nie ganz aus dem Herzen ver-
lieren können noch sollen, hat schon früh die-
se Formen des Ausdrucks davon unter den Men-
schen in Gebrauch gebracht. Dies Gefühl nöthigt
uns auch, trotz unsers Unwillens oder Nichtach-
tens gegen einzelne Menschen, diese Formeln
immer wieder auszusprechen. Die Gewohnheit
thut es gewiß nicht ganz allein; denn, wenn die
Menschen sehr zornig sind, grüßen sie nicht.

Jch erinnere mich eines Gebrauches der Brü-
dergemeinde, oder Quäker, wie sie auch heißen,
die ich irgendwo in Deutschland antraf. Diese

Mathilde. Ja, wenn wir nun aber kein
eigentliches Wohlwollen für einen Menſchen ha-
ben? Es gibt doch Menſchen genug, die man
nicht lieben kann.

Jch. Wenn wir auch keine eigentliche Liebe
haben können, ſo fühlen wir doch in unſerm Jn-
nern, daß wir Wohlwollen haben ſollten. Denn
jeder Menſch, auch der verdorbenſte, ſoll uns
als Mitgeſchöpf noch werth bleiben, und dies
allgemeine Wohlwollen für alles was Menſchen
heißt, das wir nie ganz aus dem Herzen ver-
lieren können noch ſollen, hat ſchon früh die-
ſe Formen des Ausdrucks davon unter den Men-
ſchen in Gebrauch gebracht. Dies Gefühl nöthigt
uns auch, trotz unſers Unwillens oder Nichtach-
tens gegen einzelne Menſchen, dieſe Formeln
immer wieder auszuſprechen. Die Gewohnheit
thut es gewiß nicht ganz allein; denn, wenn die
Menſchen ſehr zornig ſind, grüßen ſie nicht.

Jch erinnere mich eines Gebrauches der Brü-
dergemeinde, oder Quäker, wie ſie auch heißen,
die ich irgendwo in Deutſchland antraf. Dieſe

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[312/0326] Mathilde. Ja, wenn wir nun aber kein eigentliches Wohlwollen für einen Menſchen ha- ben? Es gibt doch Menſchen genug, die man nicht lieben kann. Jch. Wenn wir auch keine eigentliche Liebe haben können, ſo fühlen wir doch in unſerm Jn- nern, daß wir Wohlwollen haben ſollten. Denn jeder Menſch, auch der verdorbenſte, ſoll uns als Mitgeſchöpf noch werth bleiben, und dies allgemeine Wohlwollen für alles was Menſchen heißt, das wir nie ganz aus dem Herzen ver- lieren können noch ſollen, hat ſchon früh die- ſe Formen des Ausdrucks davon unter den Men- ſchen in Gebrauch gebracht. Dies Gefühl nöthigt uns auch, trotz unſers Unwillens oder Nichtach- tens gegen einzelne Menſchen, dieſe Formeln immer wieder auszuſprechen. Die Gewohnheit thut es gewiß nicht ganz allein; denn, wenn die Menſchen ſehr zornig ſind, grüßen ſie nicht. Jch erinnere mich eines Gebrauches der Brü- dergemeinde, oder Quäker, wie ſie auch heißen, die ich irgendwo in Deutſchland antraf. Dieſe

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/326>, abgerufen am 22.11.2024.