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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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der Kindheit geschlossen wird, wo die Menschen
und ihr Thun ihr in anderer Gestalt erscheinen,
als sie sie am glücklichen Lebensmorgen erblickten.
Dann trauert die schöne Seele; aber sie richtet
sich wieder auf, hebt sich höher, blickt nach dem
Gestade ferner Welten, und lernt das Leben und
seine Finsternisse still ertragen. Damit aber das
Erwachen aus dem Unschuldstraum ihnen nicht
zu schrecklich und zu plötzlich komme, sollen die
unsrigen vom ersten Drama des Lebens, so wie
sie stark genug werden, einen Akt nach dem an-
dern sehen. O wer mir ein solches Geschichts-
buch schriebe, wie ich es mir denke! -- Mangels-
dorf's Haus bedarf kann uns noch weniger als
sein Exempelbuch dienen, so sehr es auch immer
Bedürfniß bleibt. Einstweilen muß ich einen
Berg von Büchern zur Seite haben, aus denen
ich nehmen kann, was ich jedesmal bedarf. Möch-
te irgend ein fähiger weiblicher Kopf es sich freund-
lich gesagt seyn lassen, einen solchen Auszug aus
Geschichte zu liefern, wie er für zwölf -- sechs-
zehnjährige Mädchen zu brauchen wäre!

Für das Studium der Erdbeschreibung ist viel

der Kindheit geſchloſſen wird, wo die Menſchen
und ihr Thun ihr in anderer Geſtalt erſcheinen,
als ſie ſie am glücklichen Lebensmorgen erblickten.
Dann trauert die ſchöne Seele; aber ſie richtet
ſich wieder auf, hebt ſich höher, blickt nach dem
Geſtade ferner Welten, und lernt das Leben und
ſeine Finſterniſſe ſtill ertragen. Damit aber das
Erwachen aus dem Unſchuldstraum ihnen nicht
zu ſchrecklich und zu plötzlich komme, ſollen die
unſrigen vom erſten Drama des Lebens, ſo wie
ſie ſtark genug werden, einen Akt nach dem an-
dern ſehen. O wer mir ein ſolches Geſchichts-
buch ſchriebe, wie ich es mir denke! — Mangels-
dorf’s Haus bedarf kann uns noch weniger als
ſein Exempelbuch dienen, ſo ſehr es auch immer
Bedürfniß bleibt. Einſtweilen muß ich einen
Berg von Büchern zur Seite haben, aus denen
ich nehmen kann, was ich jedesmal bedarf. Möch-
te irgend ein fähiger weiblicher Kopf es ſich freund-
lich geſagt ſeyn laſſen, einen ſolchen Auszug aus
Geſchichte zu liefern, wie er für zwölf — ſechs-
zehnjährige Mädchen zu brauchen wäre!

Für das Studium der Erdbeſchreibung iſt viel

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[271/0285] der Kindheit geſchloſſen wird, wo die Menſchen und ihr Thun ihr in anderer Geſtalt erſcheinen, als ſie ſie am glücklichen Lebensmorgen erblickten. Dann trauert die ſchöne Seele; aber ſie richtet ſich wieder auf, hebt ſich höher, blickt nach dem Geſtade ferner Welten, und lernt das Leben und ſeine Finſterniſſe ſtill ertragen. Damit aber das Erwachen aus dem Unſchuldstraum ihnen nicht zu ſchrecklich und zu plötzlich komme, ſollen die unſrigen vom erſten Drama des Lebens, ſo wie ſie ſtark genug werden, einen Akt nach dem an- dern ſehen. O wer mir ein ſolches Geſchichts- buch ſchriebe, wie ich es mir denke! — Mangels- dorf’s Haus bedarf kann uns noch weniger als ſein Exempelbuch dienen, ſo ſehr es auch immer Bedürfniß bleibt. Einſtweilen muß ich einen Berg von Büchern zur Seite haben, aus denen ich nehmen kann, was ich jedesmal bedarf. Möch- te irgend ein fähiger weiblicher Kopf es ſich freund- lich geſagt ſeyn laſſen, einen ſolchen Auszug aus Geſchichte zu liefern, wie er für zwölf — ſechs- zehnjährige Mädchen zu brauchen wäre! Für das Studium der Erdbeſchreibung iſt viel

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/285>, abgerufen am 01.09.2024.