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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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Woldemar seufzte vor stiller Lust. Als nun aber
die alte Mutter sich vor dem vornehmen Sohn,
und die Schwester sich vor dem Bruder Capitain
fürchtete, da sah ich wieder, wie beklommen Clär-
chen ward; auch Mathilde fühlte das Schmerzliche
in der Szene. Jda sagte mir ins Ohr: Tante,
das begreife ich nicht, warum sie sich fürchten.
Und wenn Woldemar ein Prinz würde, oder ein
Hofrath, oder ein General, ich wollte mich nicht
vor ihm fürchten, er sollte immer mein lieber Bru-
der seyn. So äußerten die Kinder willkürlich
und unwillkürlich die Eindrücke, die auf sie ge-
macht wurden.

Alle kamen höchst zufrieden nach Hause; ihre
Privatunterhaltung war einige Tage hindurch ein-
zig über das Schauspiel. Und wie es auf die rohe
gesunde Natur überall wirkt, so wirkte es auch
auf unsere Kleinen. -- Wenn man für sie Schau-
spiele gibt, müssen die Gegenstände der Darstel-
lung aus ihrer Sphäre frisch und lebendig heraus-
genommen, und nur ein wenig verschönt ihnen
dargestellt werden. Die höhere Kunst, bei der es

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Woldemar ſeufzte vor ſtiller Luſt. Als nun aber
die alte Mutter ſich vor dem vornehmen Sohn,
und die Schweſter ſich vor dem Bruder Capitain
fürchtete, da ſah ich wieder, wie beklommen Clär-
chen ward; auch Mathilde fühlte das Schmerzliche
in der Szene. Jda ſagte mir ins Ohr: Tante,
das begreife ich nicht, warum ſie ſich fürchten.
Und wenn Woldemar ein Prinz würde, oder ein
Hofrath, oder ein General, ich wollte mich nicht
vor ihm fürchten, er ſollte immer mein lieber Bru-
der ſeyn. So äußerten die Kinder willkürlich
und unwillkürlich dïe Eindrücke, die auf ſie ge-
macht wurden.

Alle kamen höchſt zufrieden nach Hauſe; ihre
Privatunterhaltung war einige Tage hindurch ein-
zig über das Schauſpiel. Und wie es auf die rohe
geſunde Natur überall wirkt, ſo wirkte es auch
auf unſere Kleinen. — Wenn man für ſie Schau-
ſpiele gibt, müſſen die Gegenſtände der Darſtel-
lung aus ihrer Sphäre friſch und lebendig heraus-
genommen, und nur ein wenig verſchönt ihnen
dargeſtellt werden. Die höhere Kunſt, bei der es

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[265/0279] Woldemar ſeufzte vor ſtiller Luſt. Als nun aber die alte Mutter ſich vor dem vornehmen Sohn, und die Schweſter ſich vor dem Bruder Capitain fürchtete, da ſah ich wieder, wie beklommen Clär- chen ward; auch Mathilde fühlte das Schmerzliche in der Szene. Jda ſagte mir ins Ohr: Tante, das begreife ich nicht, warum ſie ſich fürchten. Und wenn Woldemar ein Prinz würde, oder ein Hofrath, oder ein General, ich wollte mich nicht vor ihm fürchten, er ſollte immer mein lieber Bru- der ſeyn. So äußerten die Kinder willkürlich und unwillkürlich dïe Eindrücke, die auf ſie ge- macht wurden. Alle kamen höchſt zufrieden nach Hauſe; ihre Privatunterhaltung war einige Tage hindurch ein- zig über das Schauſpiel. Und wie es auf die rohe geſunde Natur überall wirkt, ſo wirkte es auch auf unſere Kleinen. — Wenn man für ſie Schau- ſpiele gibt, müſſen die Gegenſtände der Darſtel- lung aus ihrer Sphäre friſch und lebendig heraus- genommen, und nur ein wenig verſchönt ihnen dargeſtellt werden. Die höhere Kunſt, bei der es (34)

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/279>, abgerufen am 23.11.2024.