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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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gewünscht, zu dir zu kommen; denn ich wußte,
wie du, liebe Tante, so gut bist, und wie viel ich
bei dir lernen würde; auch wollte ich deshalb nicht
weinen, damit Mutter nicht weinen sollte, und
auch Betty nicht, denn ich kann sie gar nicht
weinen sehen. Aber wie ich in den Wagen steigen
sollte, und mich Mutter und Schwester noch ein-
mal und noch einmal küßten, da mußte ich laut
schluchzen, es hätte mir sonst das Herz zerdrückt.
Und als der Vater mir hier Lebewohl sagte, da
ging es mir eben so: ich wußte sehr gut, ich hätte
nicht weinen sollen, und der Vater sagte mir auch
unterwegs schon, ich sollte ja vernünftig seyn,
wenn er wegginge, aber ich mußte weinen, es
half nichts. Bisweilen muß ich auch lachen, wenn
ich etwas Komisches sehe oder höre, ich mag wollen
oder nicht.

Jch. Nun, Kinder, ich sehe schon, daß ihr sehr
gut wißt, was müssen heißt; aber Clärchen
sprach vorhin das Wort sollen aus, und so, daß
ich glauben kann, sie selbst habe verstanden, was
sie damit gesagt.

gewünſcht, zu dir zu kommen; denn ich wußte,
wie du, liebe Tante, ſo gut biſt, und wie viel ich
bei dir lernen würde; auch wollte ich deshalb nicht
weinen, damit Mutter nicht weinen ſollte, und
auch Betty nicht, denn ich kann ſie gar nicht
weinen ſehen. Aber wie ich in den Wagen ſteigen
ſollte, und mich Mutter und Schweſter noch ein-
mal und noch einmal küßten, da mußte ich laut
ſchluchzen, es hätte mir ſonſt das Herz zerdrückt.
Und als der Vater mir hier Lebewohl ſagte, da
ging es mir eben ſo: ich wußte ſehr gut, ich hätte
nicht weinen ſollen, und der Vater ſagte mir auch
unterwegs ſchon, ich ſollte ja vernünftig ſeyn,
wenn er wegginge, aber ich mußte weinen, es
half nichts. Bisweilen muß ich auch lachen, wenn
ich etwas Komiſches ſehe oder höre, ich mag wollen
oder nicht.

Jch. Nun, Kinder, ich ſehe ſchon, daß ihr ſehr
gut wißt, was müſſen heißt; aber Clärchen
ſprach vorhin das Wort ſollen aus, und ſo, daß
ich glauben kann, ſie ſelbſt habe verſtanden, was
ſie damit geſagt.

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[246/0260] gewünſcht, zu dir zu kommen; denn ich wußte, wie du, liebe Tante, ſo gut biſt, und wie viel ich bei dir lernen würde; auch wollte ich deshalb nicht weinen, damit Mutter nicht weinen ſollte, und auch Betty nicht, denn ich kann ſie gar nicht weinen ſehen. Aber wie ich in den Wagen ſteigen ſollte, und mich Mutter und Schweſter noch ein- mal und noch einmal küßten, da mußte ich laut ſchluchzen, es hätte mir ſonſt das Herz zerdrückt. Und als der Vater mir hier Lebewohl ſagte, da ging es mir eben ſo: ich wußte ſehr gut, ich hätte nicht weinen ſollen, und der Vater ſagte mir auch unterwegs ſchon, ich ſollte ja vernünftig ſeyn, wenn er wegginge, aber ich mußte weinen, es half nichts. Bisweilen muß ich auch lachen, wenn ich etwas Komiſches ſehe oder höre, ich mag wollen oder nicht. Jch. Nun, Kinder, ich ſehe ſchon, daß ihr ſehr gut wißt, was müſſen heißt; aber Clärchen ſprach vorhin das Wort ſollen aus, und ſo, daß ich glauben kann, ſie ſelbſt habe verſtanden, was ſie damit geſagt.

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/260>, abgerufen am 22.11.2024.