Jda. Geht denn das mehr guten Menschen so, beste Tante?
Jch. Ja, es geht mehr Menschen so, die ei- nigen guten Willen haben, daß sie doch verkehrt handeln können.
Mathilde. Ach, beste Tante! so geht es mir ja auch. Kann man denn aber ganz schlecht wer- den, so lange man guten Willen behält?
Jch. Nein, liebe Mathilde! Aber wer recht gut werden will, muß früh anfangen, zu wol- len, und recht kräftig und immerfort zu wollen.
Jda. Und das hat Paul wohl nicht gethan?
Jch. Von Paul wollen wir hernach reden, liebes Herz! Mathilde hat noch eine Frage auf der Lippe.
Mathilde. Ja, beste Tante! Jch wollte so gern wissen, ob das ganz meine Schuld ist, daß ich oft so verkehrte Gedanken habe, und daß ich oft in mir so ärgerlich bin, und so mißvergnügt mit Allem. Ein andermal muß ich denn dasselbe wieder lieben, was mir in den bösen Stunden so
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Jda. Geht denn das mehr guten Menſchen ſo, beſte Tante?
Jch. Ja, es geht mehr Menſchen ſo, die ei- nigen guten Willen haben, daß ſie doch verkehrt handeln können.
Mathilde. Ach, beſte Tante! ſo geht es mir ja auch. Kann man denn aber ganz ſchlecht wer- den, ſo lange man guten Willen behält?
Jch. Nein, liebe Mathilde! Aber wer recht gut werden will, muß früh anfangen, zu wol- len, und recht kräftig und immerfort zu wollen.
Jda. Und das hat Paul wohl nicht gethan?
Jch. Von Paul wollen wir hernach reden, liebes Herz! Mathilde hat noch eine Frage auf der Lippe.
Mathilde. Ja, beſte Tante! Jch wollte ſo gern wiſſen, ob das ganz meine Schuld iſt, daß ich oft ſo verkehrte Gedanken habe, und daß ich oft in mir ſo ärgerlich bin, und ſo mißvergnügt mit Allem. Ein andermal muß ich denn daſſelbe wieder lieben, was mir in den böſen Stunden ſo
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Jda. Geht denn das mehr guten Menſchen
ſo, beſte Tante?
Jch. Ja, es geht mehr Menſchen ſo, die ei-
nigen guten Willen haben, daß ſie doch verkehrt
handeln können.
Mathilde. Ach, beſte Tante! ſo geht es mir
ja auch. Kann man denn aber ganz ſchlecht wer-
den, ſo lange man guten Willen behält?
Jch. Nein, liebe Mathilde! Aber wer recht
gut werden will, muß früh anfangen, zu wol-
len, und recht kräftig und immerfort zu wollen.
Jda. Und das hat Paul wohl nicht gethan?
Jch. Von Paul wollen wir hernach reden,
liebes Herz! Mathilde hat noch eine Frage auf
der Lippe.
Mathilde. Ja, beſte Tante! Jch wollte ſo
gern wiſſen, ob das ganz meine Schuld iſt, daß
ich oft ſo verkehrte Gedanken habe, und daß ich
oft in mir ſo ärgerlich bin, und ſo mißvergnügt
mit Allem. Ein andermal muß ich denn daſſelbe
wieder lieben, was mir in den böſen Stunden ſo
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/239>, abgerufen am 16.02.2025.
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