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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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nur halb gelogen sey, weil mein Bruder mir kei-
ne Blumen bringen könnte, und damit wollte ich
mich trösten, und mußte doch immer wieder daran
denken, daß ich doch gelogen hätte -- und konn-
te es nicht wieder vergessen.

Jch. Du arme Mathilde, da mag dir wohl
recht bange ums Herz gewesen seyn! Wenn du
nur gleich zu mir gekommen wärest, und dein
Herz erleichtert hättest. Jch hätte dich getröstet,
und dich sehr gebeten, auch keine halbe Lüge mehr
zu sagen, weil es von halben so leicht zu ganzen
kommt.

Mathilde. O nun will ich es gewiß immer,
denn nun weißt du ja das schlimmste. Lies nur
noch den Brief, liebe Tante, dann weißt du
alles. Von nun an mußt du alles wissen. Es
würde Sünde seyn, dir etwas zu verschweigen.

Jch lief das Blatt noch einmal durch.

Jch. Jch kann dir versprechen, liebe Mathil-
de, du wirst einst noch recht brav werden. Aber
eins möcht' ich gern noch wissen: was du nämlich

nur halb gelogen ſey, weil mein Bruder mir kei-
ne Blumen bringen könnte, und damit wollte ich
mich tröſten, und mußte doch immer wieder daran
denken, daß ich doch gelogen hätte — und konn-
te es nicht wieder vergeſſen.

Jch. Du arme Mathilde, da mag dir wohl
recht bange ums Herz geweſen ſeyn! Wenn du
nur gleich zu mir gekommen wäreſt, und dein
Herz erleichtert hätteſt. Jch hätte dich getröſtet,
und dich ſehr gebeten, auch keine halbe Lüge mehr
zu ſagen, weil es von halben ſo leicht zu ganzen
kommt.

Mathilde. O nun will ich es gewiß immer,
denn nun weißt du ja das ſchlimmſte. Lies nur
noch den Brief, liebe Tante, dann weißt du
alles. Von nun an mußt du alles wiſſen. Es
würde Sünde ſeyn, dir etwas zu verſchweigen.

Jch lief das Blatt noch einmal durch.

Jch. Jch kann dir verſprechen, liebe Mathil-
de, du wirſt einſt noch recht brav werden. Aber
eins möcht’ ich gern noch wiſſen: was du nämlich

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[202/0216] nur halb gelogen ſey, weil mein Bruder mir kei- ne Blumen bringen könnte, und damit wollte ich mich tröſten, und mußte doch immer wieder daran denken, daß ich doch gelogen hätte — und konn- te es nicht wieder vergeſſen. Jch. Du arme Mathilde, da mag dir wohl recht bange ums Herz geweſen ſeyn! Wenn du nur gleich zu mir gekommen wäreſt, und dein Herz erleichtert hätteſt. Jch hätte dich getröſtet, und dich ſehr gebeten, auch keine halbe Lüge mehr zu ſagen, weil es von halben ſo leicht zu ganzen kommt. Mathilde. O nun will ich es gewiß immer, denn nun weißt du ja das ſchlimmſte. Lies nur noch den Brief, liebe Tante, dann weißt du alles. Von nun an mußt du alles wiſſen. Es würde Sünde ſeyn, dir etwas zu verſchweigen. Jch lief das Blatt noch einmal durch. Jch. Jch kann dir verſprechen, liebe Mathil- de, du wirſt einſt noch recht brav werden. Aber eins möcht’ ich gern noch wiſſen: was du nämlich

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/216>, abgerufen am 22.11.2024.