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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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Durch alle darstellende Erzählung könnt' ich
Jhnen ja doch ein solches Leben nicht anschaulich
machen. Wie könnte sich ohne Anschauung das
Bild solcher Menschen und ihrer schönen Ver-
hältnisse recht kräftig in ihnen abdrücken? Wo-
durch wird der Glaube an Menschen anders in
uns entzündet, als durch das Leben und Seyn
mit ihnen?

Noch eines Gespräches mit dem Pfarrer muß
ich erwähnen, weil es seinem Jnhalt nach ganz
eigen zu dem gehört, was meinen Briefen an Dich
ein Jnteresse gibt. Eines Abends, als ich die
Kinder zu Bett brachte, und es noch sehr heiß
war, hatte ich die Fenster der Schlafkammer
offen gelassen. Sie sehen nach dem Garten hin-
aus. Jda betete, wie sie es gewohnt ist, laut.
Der Pfarrer stand zufällig unter dem Fenster und
blieb stehen. Jda sagte: "Jch danke dir, un-
sichtbarer Vater, daß ich heute so glücklich war.
Jch danke dir, daß meine gute Tante mich lieb
hat, und daß ich sie lieb habe. Jch danke dir,
daß du uns alle erschaffen hast, und den guten

Durch alle darſtellende Erzählung könnt’ ich
Jhnen ja doch ein ſolches Leben nicht anſchaulich
machen. Wie könnte ſich ohne Anſchauung das
Bild ſolcher Menſchen und ihrer ſchönen Ver-
hältniſſe recht kräftig in ihnen abdrücken? Wo-
durch wird der Glaube an Menſchen anders in
uns entzündet, als durch das Leben und Seyn
mit ihnen?

Noch eines Geſpräches mit dem Pfarrer muß
ich erwähnen, weil es ſeinem Jnhalt nach ganz
eigen zu dem gehört, was meinen Briefen an Dich
ein Jntereſſe gibt. Eines Abends, als ich die
Kinder zu Bett brachte, und es noch ſehr heiß
war, hatte ich die Fenſter der Schlafkammer
offen gelaſſen. Sie ſehen nach dem Garten hin-
aus. Jda betete, wie ſie es gewohnt iſt, laut.
Der Pfarrer ſtand zufällig unter dem Fenſter und
blieb ſtehen. Jda ſagte: „Jch danke dir, un-
ſichtbarer Vater, daß ich heute ſo glücklich war.
Jch danke dir, daß meine gute Tante mich lieb
hat, und daß ich ſie lieb habe. Jch danke dir,
daß du uns alle erſchaffen haſt, und den guten

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[183/0197] Durch alle darſtellende Erzählung könnt’ ich Jhnen ja doch ein ſolches Leben nicht anſchaulich machen. Wie könnte ſich ohne Anſchauung das Bild ſolcher Menſchen und ihrer ſchönen Ver- hältniſſe recht kräftig in ihnen abdrücken? Wo- durch wird der Glaube an Menſchen anders in uns entzündet, als durch das Leben und Seyn mit ihnen? Noch eines Geſpräches mit dem Pfarrer muß ich erwähnen, weil es ſeinem Jnhalt nach ganz eigen zu dem gehört, was meinen Briefen an Dich ein Jntereſſe gibt. Eines Abends, als ich die Kinder zu Bett brachte, und es noch ſehr heiß war, hatte ich die Fenſter der Schlafkammer offen gelaſſen. Sie ſehen nach dem Garten hin- aus. Jda betete, wie ſie es gewohnt iſt, laut. Der Pfarrer ſtand zufällig unter dem Fenſter und blieb ſtehen. Jda ſagte: „Jch danke dir, un- ſichtbarer Vater, daß ich heute ſo glücklich war. Jch danke dir, daß meine gute Tante mich lieb hat, und daß ich ſie lieb habe. Jch danke dir, daß du uns alle erſchaffen haſt, und den guten

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/197>, abgerufen am 23.11.2024.