Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

noch jemand anders dabei ist. Gut, wir wollen
bisweilen mit einander allein seyn. Wenn ich
Abends oben im Kabinette schreibe, und Jda schon
schläft, oder wenn Jda des Morgens gekleidet
und gewaschen wird, da kannst du zu mir kom-
men, ich will dich immer anhören. Bei diesem
Auftritte mit dem sonderbaren Kinde habe ich mir
den ersten Ursprung und das Bedürfniß der Beich-
te recht lebhaft denken können. So muß es ge-
kommen seyn, daß ein Mensch sich verpflichten
konnte, dem andern sein ganzes Jnnerstes mit
allen Gräueln freiwillig aufzuschließen. Solche
Gemüther müssen zuerst das Bedürfniß, ja die
Nothwendigkeit der Beichte empfunden haben,
und für solche kann sie auch nur seyn.

Was hätte ein so harmonisches Wesen, wie
Jda einst seyn muß, zu beichten? Wenn das
über seine schöne Natur reflectirt und raisonnirt,
wird es eitel. Und davor kann es nicht genug
bewahrt werden.

Mathilde war den ganzen übrigen Tag still ver-
gnügt, als ob eine schwere Last von ihr gewälzt

noch jemand anders dabei iſt. Gut, wir wollen
bisweilen mit einander allein ſeyn. Wenn ich
Abends oben im Kabinette ſchreibe, und Jda ſchon
ſchläft, oder wenn Jda des Morgens gekleidet
und gewaſchen wird, da kannſt du zu mir kom-
men, ich will dich immer anhören. Bei dieſem
Auftritte mit dem ſonderbaren Kinde habe ich mir
den erſten Urſprung und das Bedürfniß der Beich-
te recht lebhaft denken können. So muß es ge-
kommen ſeyn, daß ein Menſch ſich verpflichten
konnte, dem andern ſein ganzes Jnnerſtes mit
allen Gräueln freiwillig aufzuſchließen. Solche
Gemüther müſſen zuerſt das Bedürfniß, ja die
Nothwendigkeit der Beichte empfunden haben,
und für ſolche kann ſie auch nur ſeyn.

Was hätte ein ſo harmoniſches Weſen, wie
Jda einſt ſeyn muß, zu beichten? Wenn das
über ſeine ſchöne Natur reflectirt und raiſonnirt,
wird es eitel. Und davor kann es nicht genug
bewahrt werden.

Mathilde war den ganzen übrigen Tag ſtill ver-
gnügt, als ob eine ſchwere Laſt von ihr gewälzt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0184" n="170"/>
noch jemand anders dabei i&#x017F;t. Gut, wir wollen<lb/>
bisweilen mit einander allein &#x017F;eyn. Wenn ich<lb/>
Abends oben im Kabinette &#x017F;chreibe, und Jda &#x017F;chon<lb/>
&#x017F;chläft, oder wenn Jda des Morgens gekleidet<lb/>
und gewa&#x017F;chen wird, da kann&#x017F;t du zu mir kom-<lb/>
men, ich will dich immer anhören. Bei die&#x017F;em<lb/>
Auftritte mit dem &#x017F;onderbaren Kinde habe ich mir<lb/>
den er&#x017F;ten Ur&#x017F;prung und das Bedürfniß der Beich-<lb/>
te recht lebhaft denken können. So muß es ge-<lb/>
kommen &#x017F;eyn, daß ein Men&#x017F;ch &#x017F;ich verpflichten<lb/>
konnte, dem andern &#x017F;ein ganzes Jnner&#x017F;tes mit<lb/>
allen Gräueln freiwillig aufzu&#x017F;chließen. Solche<lb/>
Gemüther mü&#x017F;&#x017F;en zuer&#x017F;t das Bedürfniß, ja die<lb/>
Nothwendigkeit der Beichte empfunden haben,<lb/>
und für &#x017F;olche kann &#x017F;ie auch nur &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Was hätte ein &#x017F;o harmoni&#x017F;ches We&#x017F;en, wie<lb/>
Jda ein&#x017F;t &#x017F;eyn muß, zu beichten? Wenn das<lb/>
über &#x017F;eine &#x017F;chöne Natur reflectirt und rai&#x017F;onnirt,<lb/>
wird es eitel. Und davor kann es nicht genug<lb/>
bewahrt werden.</p><lb/>
          <p>Mathilde war den ganzen übrigen Tag &#x017F;till ver-<lb/>
gnügt, als ob eine &#x017F;chwere La&#x017F;t von ihr gewälzt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0184] noch jemand anders dabei iſt. Gut, wir wollen bisweilen mit einander allein ſeyn. Wenn ich Abends oben im Kabinette ſchreibe, und Jda ſchon ſchläft, oder wenn Jda des Morgens gekleidet und gewaſchen wird, da kannſt du zu mir kom- men, ich will dich immer anhören. Bei dieſem Auftritte mit dem ſonderbaren Kinde habe ich mir den erſten Urſprung und das Bedürfniß der Beich- te recht lebhaft denken können. So muß es ge- kommen ſeyn, daß ein Menſch ſich verpflichten konnte, dem andern ſein ganzes Jnnerſtes mit allen Gräueln freiwillig aufzuſchließen. Solche Gemüther müſſen zuerſt das Bedürfniß, ja die Nothwendigkeit der Beichte empfunden haben, und für ſolche kann ſie auch nur ſeyn. Was hätte ein ſo harmoniſches Weſen, wie Jda einſt ſeyn muß, zu beichten? Wenn das über ſeine ſchöne Natur reflectirt und raiſonnirt, wird es eitel. Und davor kann es nicht genug bewahrt werden. Mathilde war den ganzen übrigen Tag ſtill ver- gnügt, als ob eine ſchwere Laſt von ihr gewälzt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/184
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/184>, abgerufen am 24.11.2024.