"Auch von Jda soll Tante Selma die Mutter trösten. O ich will so brav seyn, und so fromm, wie ich noch nicht gewesen bin." --
"Jch will auch brav seyn lernen" -- fiel Mathil- de ein -- und die Mutter soll sich auch über mich freuen müssen!" -- Jch drückte mein Gesicht ins Wagenkissen, um die Kinder durch meine tiefe Rührung nicht noch weicher zu machen. Ein we- nig gefaßter wendete ich mich zu Platov, welcher sagte: "wir sind hier in einer heiligen Welt. So kann es aber nicht immer seyn, so darf es nicht oft seyn; aber solche Momente des Lebens heili- gen das übrige: an ihnen entglühet das Mensch- liche im Menschen." -- Dann fuhr er fort: "Wol- demar, ich nehme dich beim Worte: bist du wild und unbändig, so klagst du dich selbst an beim Vater; bist du verständig wacker und sanft, und lernest brav, so schreibe ich es der Mutter, auf daß wir ihr schönes Herz erfreuen." --
"So bald wir nach L. kommen, will ich dir sagen, was du in den ersten zwölf Monaten lernen
„Auch von Jda ſoll Tante Selma die Mutter tröſten. O ich will ſo brav ſeyn, und ſo fromm, wie ich noch nicht geweſen bin.‟ —
„Jch will auch brav ſeyn lernen‟ — fiel Mathil- de ein — und die Mutter ſoll ſich auch über mich freuen müſſen!‟ — Jch drückte mein Geſicht ins Wagenkiſſen, um die Kinder durch meine tiefe Rührung nicht noch weicher zu machen. Ein we- nig gefaßter wendete ich mich zu Platov, welcher ſagte: „wir ſind hier in einer heiligen Welt. So kann es aber nicht immer ſeyn, ſo darf es nicht oft ſeyn; aber ſolche Momente des Lebens heili- gen das übrige: an ihnen entglühet das Menſch- liche im Menſchen.‟ — Dann fuhr er fort: „Wol- demar, ich nehme dich beim Worte: biſt du wild und unbändig, ſo klagſt du dich ſelbſt an beim Vater; biſt du verſtändig wacker und ſanft, und lerneſt brav, ſo ſchreibe ich es der Mutter, auf daß wir ihr ſchönes Herz erfreuen.‟ —
„So bald wir nach L. kommen, will ich dir ſagen, was du in den erſten zwölf Monaten lernen
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„Auch von Jda ſoll Tante Selma die Mutter
tröſten. O ich will ſo brav ſeyn, und ſo fromm,
wie ich noch nicht geweſen bin.‟ —
„Jch will auch brav ſeyn lernen‟ — fiel Mathil-
de ein — und die Mutter ſoll ſich auch über mich
freuen müſſen!‟ — Jch drückte mein Geſicht ins
Wagenkiſſen, um die Kinder durch meine tiefe
Rührung nicht noch weicher zu machen. Ein we-
nig gefaßter wendete ich mich zu Platov, welcher
ſagte: „wir ſind hier in einer heiligen Welt. So
kann es aber nicht immer ſeyn, ſo darf es nicht
oft ſeyn; aber ſolche Momente des Lebens heili-
gen das übrige: an ihnen entglühet das Menſch-
liche im Menſchen.‟ — Dann fuhr er fort: „Wol-
demar, ich nehme dich beim Worte: biſt du
wild und unbändig, ſo klagſt du dich ſelbſt an
beim Vater; biſt du verſtändig wacker und ſanft,
und lerneſt brav, ſo ſchreibe ich es der Mutter,
auf daß wir ihr ſchönes Herz erfreuen.‟ —
„So bald wir nach L. kommen, will ich dir
ſagen, was du in den erſten zwölf Monaten lernen
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/144>, abgerufen am 22.11.2024.
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