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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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Eine lange Zeit verharrten wir sämmtlich in die-
ser stillen Feier. Jedes überließ sich seiner eigen-
thümlichen Natur, die bei dem einen in stillem
Fortweinen, bei dem andern durch eine gänzliche
Abgeschiedenheit von allem Gegenwärtigen sichtbar
ward. Der Tag war so ruhig heiter, der Abend
ward unbeschreiblich schön. Mathilde theilte den
ihr fremden Schmerz durch eine stille Ruhe.

Woldemar unterbrach das Schweigen zuerst:
"Nun will ich Sie auch sehr lieb haben, sagt'
er zu Platov. Jch weiß ja, daß ich nicht im-
mer bei der Engelsmutter bleiben konnte. Machen
Sie nur, daß ich recht viel lerne, und schel-
ten Sie mich, wenn ich zu viel tobe. Der Vater
hat mich oft gestraft, wenn ich tolles Zeug trieb,
das sollen Sie aber nicht mehr nöthig haben.
Jch will es dem Vater aber immer selbst schreiben,
wenn ich etwas mache, das nicht taugt. Und
Sie müssen dann der Mutter schreiben, was Sie
Gutes von mir wissen, und sie trösten." --

Bei dem Worte trösten, rollten ihm zwei große
Thränen herunter. Wie Jda dies sah, brachen
die ihrigen von neuem los. Schluchzend sagte sie:

(17)



Eine lange Zeit verharrten wir ſämmtlich in die-
ſer ſtillen Feier. Jedes überließ ſich ſeiner eigen-
thümlichen Natur, die bei dem einen in ſtillem
Fortweinen, bei dem andern durch eine gänzliche
Abgeſchiedenheit von allem Gegenwärtigen ſichtbar
ward. Der Tag war ſo ruhig heiter, der Abend
ward unbeſchreiblich ſchön. Mathilde theilte den
ihr fremden Schmerz durch eine ſtille Ruhe.

Woldemar unterbrach das Schweigen zuerſt:
„Nun will ich Sie auch ſehr lieb haben, ſagt’
er zu Platov. Jch weiß ja, daß ich nicht im-
mer bei der Engelsmutter bleiben konnte. Machen
Sie nur, daß ich recht viel lerne, und ſchel-
ten Sie mich, wenn ich zu viel tobe. Der Vater
hat mich oft geſtraft, wenn ich tolles Zeug trieb,
das ſollen Sie aber nicht mehr nöthig haben.
Jch will es dem Vater aber immer ſelbſt ſchreiben,
wenn ich etwas mache, das nicht taugt. Und
Sie müſſen dann der Mutter ſchreiben, was Sie
Gutes von mir wiſſen, und ſie tröſten.‟ —

Bei dem Worte tröſten, rollten ihm zwei große
Thränen herunter. Wie Jda dies ſah, brachen
die ihrigen von neuem los. Schluchzend ſagte ſie:

(17)
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[129/0143] Eine lange Zeit verharrten wir ſämmtlich in die- ſer ſtillen Feier. Jedes überließ ſich ſeiner eigen- thümlichen Natur, die bei dem einen in ſtillem Fortweinen, bei dem andern durch eine gänzliche Abgeſchiedenheit von allem Gegenwärtigen ſichtbar ward. Der Tag war ſo ruhig heiter, der Abend ward unbeſchreiblich ſchön. Mathilde theilte den ihr fremden Schmerz durch eine ſtille Ruhe. Woldemar unterbrach das Schweigen zuerſt: „Nun will ich Sie auch ſehr lieb haben, ſagt’ er zu Platov. Jch weiß ja, daß ich nicht im- mer bei der Engelsmutter bleiben konnte. Machen Sie nur, daß ich recht viel lerne, und ſchel- ten Sie mich, wenn ich zu viel tobe. Der Vater hat mich oft geſtraft, wenn ich tolles Zeug trieb, das ſollen Sie aber nicht mehr nöthig haben. Jch will es dem Vater aber immer ſelbſt ſchreiben, wenn ich etwas mache, das nicht taugt. Und Sie müſſen dann der Mutter ſchreiben, was Sie Gutes von mir wiſſen, und ſie tröſten.‟ — Bei dem Worte tröſten, rollten ihm zwei große Thränen herunter. Wie Jda dies ſah, brachen die ihrigen von neuem los. Schluchzend ſagte ſie: (17)

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/143>, abgerufen am 24.11.2024.