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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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Herr von P. an meinem Bette mit einem Tuche
in der Hand, mit welchem er mir die Augen trock-
nete. Er fragte: Was ist dir, mein Junge? Jch
habe nur geträumt, sagt' ich, von der Mutter und
von Jda. Aber sie sahen gar nicht so aus, wie
sonst; die Mutter sah' aus, wie die marmorne
Frau, die alle ihre dreizehn Kinder verloren hat,
und nun auch das letzte, jüngste sterben sieht, und
mir war's, als sähe ich Jda just so in ihren Armen
hängen. Nun versprach er mir, wir wollten noch
in dieser Woche hin zur Mutter und Jda holen.
Da ward ich ganz froh und stand auf. Während
ich mich anzog, spielte und sang Herr von P.:
"Willkommen, schöner Morgen, wie groß ist deine
Pracht." Jch sang mit, und mein Traum war ganz
vergessen. Und nun schickt er mich, und läßt dich,
liebe Tante, bitten, daß wir ja recht bald reisen."

Jndem der liebe Schwätzer so saß und plauderte,
brachte man mir Deinen Einladungsbrief. Alles
ist also bei Dir bereit. Wohlan, wir sind es auch,
und reisen morgen, wenn uns nichts abhält. O!
sammle alle Deine Kräfte zusammen! Du wirst



Herr von P. an meinem Bette mit einem Tuche
in der Hand, mit welchem er mir die Augen trock-
nete. Er fragte: Was iſt dir, mein Junge? Jch
habe nur geträumt, ſagt’ ich, von der Mutter und
von Jda. Aber ſie ſahen gar nicht ſo aus, wie
ſonſt; die Mutter ſah’ aus, wie die marmorne
Frau, die alle ihre dreizehn Kinder verloren hat,
und nun auch das letzte, jüngſte ſterben ſieht, und
mir war’s, als ſähe ich Jda juſt ſo in ihren Armen
hängen. Nun verſprach er mir, wir wollten noch
in dieſer Woche hin zur Mutter und Jda holen.
Da ward ich ganz froh und ſtand auf. Während
ich mich anzog, ſpielte und ſang Herr von P.:
„Willkommen, ſchöner Morgen, wie groß iſt deine
Pracht.‟ Jch ſang mit, und mein Traum war ganz
vergeſſen. Und nun ſchickt er mich, und läßt dich,
liebe Tante, bitten, daß wir ja recht bald reiſen.‟

Jndem der liebe Schwätzer ſo ſaß und plauderte,
brachte man mir Deinen Einladungsbrief. Alles
iſt alſo bei Dir bereit. Wohlan, wir ſind es auch,
und reiſen morgen, wenn uns nichts abhält. O!
ſammle alle Deine Kräfte zuſammen! Du wirſt

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[126/0140] Herr von P. an meinem Bette mit einem Tuche in der Hand, mit welchem er mir die Augen trock- nete. Er fragte: Was iſt dir, mein Junge? Jch habe nur geträumt, ſagt’ ich, von der Mutter und von Jda. Aber ſie ſahen gar nicht ſo aus, wie ſonſt; die Mutter ſah’ aus, wie die marmorne Frau, die alle ihre dreizehn Kinder verloren hat, und nun auch das letzte, jüngſte ſterben ſieht, und mir war’s, als ſähe ich Jda juſt ſo in ihren Armen hängen. Nun verſprach er mir, wir wollten noch in dieſer Woche hin zur Mutter und Jda holen. Da ward ich ganz froh und ſtand auf. Während ich mich anzog, ſpielte und ſang Herr von P.: „Willkommen, ſchöner Morgen, wie groß iſt deine Pracht.‟ Jch ſang mit, und mein Traum war ganz vergeſſen. Und nun ſchickt er mich, und läßt dich, liebe Tante, bitten, daß wir ja recht bald reiſen.‟ Jndem der liebe Schwätzer ſo ſaß und plauderte, brachte man mir Deinen Einladungsbrief. Alles iſt alſo bei Dir bereit. Wohlan, wir ſind es auch, und reiſen morgen, wenn uns nichts abhält. O! ſammle alle Deine Kräfte zuſammen! Du wirſt

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/140>, abgerufen am 22.11.2024.