Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.Ehre, daß er sie schwerlich noch betreten möchte. Zu Kindern fühlt er sich so innig hingezogen, daß er gleich mitten darunter ist, wenn er in unserm Zirkel ein Häuflein Kinder bei einander sieht. Noch habe ich keinen Mann so traulich mit Kin- dern umgehen sehen. Als unabhängiger Gelehr- ter zu leben, hat er jetzt beschlossen, und das muß er auch wohl, weil ein jedes Amt ihm eine drük- kende Fessel seyn würde. Dennoch scheint es mir möglich, ihn dazu zu stimmen, daß er sich Wolde- mar's Erziehung widme, sobald er den Knaben ge- sehen hat. Seine Kinderliebe überwiegt noch die Liebe zur Unabhängigkeit bei ihm. Den ganzen Umfang seines Wissens kenne ich nicht, und den kennen hier nur wenige. Aber die Art, wie er die Dinge weiß, ist nur wenigen, seltenen Gei- stern eigen. Wenn er mit Männern über irgend einen Gegenstand aus dem Reiche des gelehrten Wissens spricht, so ist er der Sache auch so ganz Herr und Meister, als ob sie von ihm zuerst ge- dacht wäre; was ihm weniger klar ist, darüber spricht er nicht. Dennoch ist so gar nichts Herri- sches, noch Absprechendes in seinem Tone; man Ehre, daß er ſie ſchwerlich noch betreten möchte. Zu Kindern fühlt er ſich ſo innig hingezogen, daß er gleich mitten darunter iſt, wenn er in unſerm Zirkel ein Häuflein Kinder bei einander ſieht. Noch habe ich keinen Mann ſo traulich mit Kin- dern umgehen ſehen. Als unabhängiger Gelehr- ter zu leben, hat er jetzt beſchloſſen, und das muß er auch wohl, weil ein jedes Amt ihm eine drük- kende Feſſel ſeyn würde. Dennoch ſcheint es mir möglich, ihn dazu zu ſtimmen, daß er ſich Wolde- mar’s Erziehung widme, ſobald er den Knaben ge- ſehen hat. Seine Kinderliebe überwiegt noch die Liebe zur Unabhängigkeit bei ihm. Den ganzen Umfang ſeines Wiſſens kenne ich nicht, und den kennen hier nur wenige. Aber die Art, wie er die Dinge weiß, iſt nur wenigen, ſeltenen Gei- ſtern eigen. Wenn er mit Männern über irgend einen Gegenſtand aus dem Reiche des gelehrten Wiſſens ſpricht, ſo iſt er der Sache auch ſo ganz Herr und Meiſter, als ob ſie von ihm zuerſt ge- dacht wäre; was ihm weniger klar iſt, darüber ſpricht er nicht. Dennoch iſt ſo gar nichts Herri- ſches, noch Abſprechendes in ſeinem Tone; man <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0123" n="109"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Ehre, daß er ſie ſchwerlich noch betreten möchte.<lb/> Zu Kindern fühlt er ſich ſo innig hingezogen, daß<lb/> er gleich mitten darunter iſt, wenn er in unſerm<lb/> Zirkel ein Häuflein Kinder bei einander ſieht.<lb/> Noch habe ich keinen Mann ſo traulich mit Kin-<lb/> dern umgehen ſehen. Als unabhängiger Gelehr-<lb/> ter zu leben, hat er jetzt beſchloſſen, und das muß<lb/> er auch wohl, weil ein jedes Amt ihm eine drük-<lb/> kende Feſſel ſeyn würde. Dennoch ſcheint es mir<lb/> möglich, ihn dazu zu ſtimmen, daß er ſich Wolde-<lb/> mar’s Erziehung widme, ſobald er den Knaben ge-<lb/> ſehen hat. Seine Kinderliebe überwiegt noch die<lb/> Liebe zur Unabhängigkeit bei ihm. Den ganzen<lb/> Umfang ſeines Wiſſens kenne ich nicht, und den<lb/> kennen hier nur wenige. Aber die Art, <hi rendition="#g">wie</hi> er<lb/> die Dinge weiß, iſt nur wenigen, ſeltenen Gei-<lb/> ſtern eigen. Wenn er mit Männern über irgend<lb/> einen Gegenſtand aus dem Reiche des gelehrten<lb/> Wiſſens ſpricht, ſo iſt er der Sache auch ſo ganz<lb/> Herr und Meiſter, als ob ſie von ihm zuerſt ge-<lb/> dacht wäre; was ihm weniger klar iſt, darüber<lb/> ſpricht er nicht. Dennoch iſt ſo gar nichts Herri-<lb/> ſches, noch Abſprechendes in ſeinem Tone; man<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [109/0123]
Ehre, daß er ſie ſchwerlich noch betreten möchte.
Zu Kindern fühlt er ſich ſo innig hingezogen, daß
er gleich mitten darunter iſt, wenn er in unſerm
Zirkel ein Häuflein Kinder bei einander ſieht.
Noch habe ich keinen Mann ſo traulich mit Kin-
dern umgehen ſehen. Als unabhängiger Gelehr-
ter zu leben, hat er jetzt beſchloſſen, und das muß
er auch wohl, weil ein jedes Amt ihm eine drük-
kende Feſſel ſeyn würde. Dennoch ſcheint es mir
möglich, ihn dazu zu ſtimmen, daß er ſich Wolde-
mar’s Erziehung widme, ſobald er den Knaben ge-
ſehen hat. Seine Kinderliebe überwiegt noch die
Liebe zur Unabhängigkeit bei ihm. Den ganzen
Umfang ſeines Wiſſens kenne ich nicht, und den
kennen hier nur wenige. Aber die Art, wie er
die Dinge weiß, iſt nur wenigen, ſeltenen Gei-
ſtern eigen. Wenn er mit Männern über irgend
einen Gegenſtand aus dem Reiche des gelehrten
Wiſſens ſpricht, ſo iſt er der Sache auch ſo ganz
Herr und Meiſter, als ob ſie von ihm zuerſt ge-
dacht wäre; was ihm weniger klar iſt, darüber
ſpricht er nicht. Dennoch iſt ſo gar nichts Herri-
ſches, noch Abſprechendes in ſeinem Tone; man
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