Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.I. Die functionelle Anpassung. Bezüglich der äusseren Proportionen lehrt uns die Anatomie fürKünstler, dass jedes Alter durch gewisse Proportionen seiner Körpertheile charakterisirt ist, und die Wägungen der inneren Organe in den verschiedenen Altern ergeben das Gleiche. Ein- gehende morphologische Untersuchungen bestätigen dies in allen Organen1). Wo hört nun das vererbte Wachsthum auf? Alle diese un- Es lässt sich hier nichts entscheiden, so lange wir nicht Unter "vererbt" versteht man im gewöhnlichen Sinne Bil- 1) Siehe W. Henke, Anatomie des Kindesalters, in: Gerhardt,
Handbuch der Kinderheilkunde. Bd. I. p. 227 ff. 1877. I. Die functionelle Anpassung. Bezüglich der äusseren Proportionen lehrt uns die Anatomie fürKünstler, dass jedes Alter durch gewisse Proportionen seiner Körpertheile charakterisirt ist, und die Wägungen der inneren Organe in den verschiedenen Altern ergeben das Gleiche. Ein- gehende morphologische Untersuchungen bestätigen dies in allen Organen1). Wo hört nun das vererbte Wachsthum auf? Alle diese un- Es lässt sich hier nichts entscheiden, so lange wir nicht Unter »vererbt« versteht man im gewöhnlichen Sinne Bil- 1) Siehe W. Henke, Anatomie des Kindesalters, in: Gerhardt,
Handbuch der Kinderheilkunde. Bd. I. p. 227 ff. 1877. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0064" n="50"/><fw place="top" type="header">I. Die functionelle Anpassung.</fw><lb/> Bezüglich der äusseren Proportionen lehrt uns die Anatomie für<lb/> Künstler, dass jedes Alter durch gewisse Proportionen seiner<lb/> Körpertheile charakterisirt ist, und die Wägungen der inneren<lb/> Organe in den verschiedenen Altern ergeben das Gleiche. Ein-<lb/> gehende morphologische Untersuchungen bestätigen dies in allen<lb/> Organen<note place="foot" n="1)">Siehe W. Henke, Anatomie des Kindesalters, in: Gerhardt,<lb/> Handbuch der Kinderheilkunde. Bd. I. p. 227 ff. 1877.</note>.</p><lb/> <p>Wo hört nun das vererbte Wachsthum auf? Alle diese un-<lb/> gleichen Veränderungen der Organe in den verschiedenen Ent-<lb/> wicklungsperioden bis zum Ausgewachsensein sind, soweit sie<lb/> innerhalb des fest Normirten sich halten, offenbar vererbt.</p><lb/> <p>Es lässt sich hier nichts entscheiden, so lange wir nicht<lb/> klar darüber sind, was überhaupt unter vererbten Bildungen<lb/> zu verstehen ist. Jedenfalls ist es willkürlich, die Entstehung<lb/> der vererbten Bildungen in den embryonalen Zeitraum zu bannen<lb/> und alle postembryonalen Bildungen als erworben zu bezeichnen.<lb/> Embryonal, von ἔμβρυος, das (in einen andern Körper) Ein-<lb/> geschlossene, bezeichnet blos einen einzigen Umstand des Ge-<lb/> schehens, den eines gewissen Abgeschlossenseins, und gewiss<lb/> kann alles, was in dieser Zeit sich vollzieht, embryonal genanut<lb/> werden. Aber einmal ist, wie erwähnt, dieses Abgeschlossensein<lb/> von der Aussenwelt von äusseren Einwirkungen ein sehr un-<lb/> vollkommenes, und zweitens fällt, wie wir gezeigt haben, diese<lb/> Periode keineswegs mit der Ausbildung des Vererbten zusammen.<lb/> Wenn wir aber die Bezeichnung »embryonal«, um der Gewohn-<lb/> heit zu folgen, identisch mit »vererbt« gebrauchen wollen, nach<lb/> dem Principe a potiori fit denominatio, weil die in der embryo-<lb/> nalen Zeit ablaufenden Bildungen zumeist vererbte sind, so<lb/> dürfen wir uns nicht scheuen, auch die Entwickelung des Jüng-<lb/> lingsalters zum grossen Theil noch als embryonale zu benennen.</p><lb/> <p>Unter »vererbt« versteht man im gewöhnlichen Sinne Bil-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [50/0064]
I. Die functionelle Anpassung.
Bezüglich der äusseren Proportionen lehrt uns die Anatomie für
Künstler, dass jedes Alter durch gewisse Proportionen seiner
Körpertheile charakterisirt ist, und die Wägungen der inneren
Organe in den verschiedenen Altern ergeben das Gleiche. Ein-
gehende morphologische Untersuchungen bestätigen dies in allen
Organen 1).
Wo hört nun das vererbte Wachsthum auf? Alle diese un-
gleichen Veränderungen der Organe in den verschiedenen Ent-
wicklungsperioden bis zum Ausgewachsensein sind, soweit sie
innerhalb des fest Normirten sich halten, offenbar vererbt.
Es lässt sich hier nichts entscheiden, so lange wir nicht
klar darüber sind, was überhaupt unter vererbten Bildungen
zu verstehen ist. Jedenfalls ist es willkürlich, die Entstehung
der vererbten Bildungen in den embryonalen Zeitraum zu bannen
und alle postembryonalen Bildungen als erworben zu bezeichnen.
Embryonal, von ἔμβρυος, das (in einen andern Körper) Ein-
geschlossene, bezeichnet blos einen einzigen Umstand des Ge-
schehens, den eines gewissen Abgeschlossenseins, und gewiss
kann alles, was in dieser Zeit sich vollzieht, embryonal genanut
werden. Aber einmal ist, wie erwähnt, dieses Abgeschlossensein
von der Aussenwelt von äusseren Einwirkungen ein sehr un-
vollkommenes, und zweitens fällt, wie wir gezeigt haben, diese
Periode keineswegs mit der Ausbildung des Vererbten zusammen.
Wenn wir aber die Bezeichnung »embryonal«, um der Gewohn-
heit zu folgen, identisch mit »vererbt« gebrauchen wollen, nach
dem Principe a potiori fit denominatio, weil die in der embryo-
nalen Zeit ablaufenden Bildungen zumeist vererbte sind, so
dürfen wir uns nicht scheuen, auch die Entwickelung des Jüng-
lingsalters zum grossen Theil noch als embryonale zu benennen.
Unter »vererbt« versteht man im gewöhnlichen Sinne Bil-
1) Siehe W. Henke, Anatomie des Kindesalters, in: Gerhardt,
Handbuch der Kinderheilkunde. Bd. I. p. 227 ff. 1877.
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