B. Erblichkeit der Wirkungen der functionellen Anpassung.
Anlage an, und die erwähnte Structur ihrer Wandungen und die Gestalt ihrer Lichtung wird also in der gleichen Weise durch functionelle Anpassung entstehen können, wie im Erwachsenen die berufsmässige ungleiche Ausbildung der Organe.
Die Sinnesorgane werden mehr oder weniger von Reizen getroffen und letztere können ausgestaltend bei der Bildung der percipirenden Theile derselben mitwirken, wenn auch wohl diese Wirkung zumeist nur gering sein wird.
Das Gleiche wie für die Säugethiere gilt von der Ent- wicklung der Vögel; auch hier ist ein fester Zeitpunkt vor- handen, wo eine augenfällige, der nicht eingehenden Betrach- tung als wesentlich genug imponirende Wandlung der Lebens- bedingungen eintritt, um ihn als die Grenzscheide des Ererbten und des Erworbenen anzusehen: der Moment des Auskriechens aus dem Ei. Ist schon diese Auffassung nach dem Obigen durchaus unberechtigt; wo aber liegt nun die entsprechende Grenzscheide bei Amphibien und Fischen, welche von vorn herein fast wie im Freien leben und durch ihre Eihülle nur relativ wenig vor den Reizen der Aussenwelt geschützt sind? Wer will hier wagen, einen Moment festzusetzen, wo die ver- erbten Bildungen aufhören und das Erwerben von Eigenschaften durch functionelle Anpassung des Embryo anfängt! In wie relativ frühem Stadium der Entwickelung sind hier die Thiere schon auf Selbsternährung angewiesen! Will man hier vielleicht als Grenzscheide des Vererbten und des Erworbenen den Moment nehmen, von welchem an das Thier blos noch dem Aehnlich- keitswachsthum folgt, blos noch in allen Theilen gleichmässig sich vergrössert? Dann müsste man aber analog das Menschen- leben fast bis zum Ausgewachsensein als Embryonales oder Vererbtes bezeichnen, denn bekanntlich findet wirkliches Aehn- lichkeitswachsthum überhaupt nicht statt, sondern in jeder Ent- wickelungsperiode wachsen die verschiedenen Organe ungleich.
Roux, Kampf der Theile. 4
B. Erblichkeit der Wirkungen der functionellen Anpassung.
Anlage an, und die erwähnte Structur ihrer Wandungen und die Gestalt ihrer Lichtung wird also in der gleichen Weise durch functionelle Anpassung entstehen können, wie im Erwachsenen die berufsmässige ungleiche Ausbildung der Organe.
Die Sinnesorgane werden mehr oder weniger von Reizen getroffen und letztere können ausgestaltend bei der Bildung der percipirenden Theile derselben mitwirken, wenn auch wohl diese Wirkung zumeist nur gering sein wird.
Das Gleiche wie für die Säugethiere gilt von der Ent- wicklung der Vögel; auch hier ist ein fester Zeitpunkt vor- handen, wo eine augenfällige, der nicht eingehenden Betrach- tung als wesentlich genug imponirende Wandlung der Lebens- bedingungen eintritt, um ihn als die Grenzscheide des Ererbten und des Erworbenen anzusehen: der Moment des Auskriechens aus dem Ei. Ist schon diese Auffassung nach dem Obigen durchaus unberechtigt; wo aber liegt nun die entsprechende Grenzscheide bei Amphibien und Fischen, welche von vorn herein fast wie im Freien leben und durch ihre Eihülle nur relativ wenig vor den Reizen der Aussenwelt geschützt sind? Wer will hier wagen, einen Moment festzusetzen, wo die ver- erbten Bildungen aufhören und das Erwerben von Eigenschaften durch functionelle Anpassung des Embryo anfängt! In wie relativ frühem Stadium der Entwickelung sind hier die Thiere schon auf Selbsternährung angewiesen! Will man hier vielleicht als Grenzscheide des Vererbten und des Erworbenen den Moment nehmen, von welchem an das Thier blos noch dem Aehnlich- keitswachsthum folgt, blos noch in allen Theilen gleichmässig sich vergrössert? Dann müsste man aber analog das Menschen- leben fast bis zum Ausgewachsensein als Embryonales oder Vererbtes bezeichnen, denn bekanntlich findet wirkliches Aehn- lichkeitswachsthum überhaupt nicht statt, sondern in jeder Ent- wickelungsperiode wachsen die verschiedenen Organe ungleich.
Roux, Kampf der Theile. 4
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B. Erblichkeit der Wirkungen der functionellen Anpassung.
Anlage an, und die erwähnte Structur ihrer Wandungen und
die Gestalt ihrer Lichtung wird also in der gleichen Weise durch
functionelle Anpassung entstehen können, wie im Erwachsenen
die berufsmässige ungleiche Ausbildung der Organe.
Die Sinnesorgane werden mehr oder weniger von Reizen
getroffen und letztere können ausgestaltend bei der Bildung der
percipirenden Theile derselben mitwirken, wenn auch wohl diese
Wirkung zumeist nur gering sein wird.
Das Gleiche wie für die Säugethiere gilt von der Ent-
wicklung der Vögel; auch hier ist ein fester Zeitpunkt vor-
handen, wo eine augenfällige, der nicht eingehenden Betrach-
tung als wesentlich genug imponirende Wandlung der Lebens-
bedingungen eintritt, um ihn als die Grenzscheide des Ererbten
und des Erworbenen anzusehen: der Moment des Auskriechens
aus dem Ei. Ist schon diese Auffassung nach dem Obigen
durchaus unberechtigt; wo aber liegt nun die entsprechende
Grenzscheide bei Amphibien und Fischen, welche von vorn
herein fast wie im Freien leben und durch ihre Eihülle nur
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durch functionelle Anpassung des Embryo anfängt! In wie
relativ frühem Stadium der Entwickelung sind hier die Thiere
schon auf Selbsternährung angewiesen! Will man hier vielleicht
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nehmen, von welchem an das Thier blos noch dem Aehnlich-
keitswachsthum folgt, blos noch in allen Theilen gleichmässig
sich vergrössert? Dann müsste man aber analog das Menschen-
leben fast bis zum Ausgewachsensein als Embryonales oder
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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/63>, abgerufen am 22.07.2024.
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