modificirbar sind, denn im entgegengesetzten Falle würden wir schon bei Ermüdung des Muskelapparates und noch mehr bei ungleichmässiger Ermüdung der einzelnen Muskeln desselben die Fähigkeit, correcte Bewegungscombinationen auszuführen, verlieren."
So ist die Fähigkeit der functionellen Anpassung eine Vor- bedingung der Erwerbung jeglicher körperlichen Geschicklich- keit; und die Uebung ist weiter nichts, als die Ausbildung sol- cher Anpassungen im Organismus, ja die Fixation aller Sinnes- eindrücke in der Hirnrinde muss als directe functionelle An- passung an die Aussenwelt aufgefasst werden.
Weiterhin ist hier aufzuführen das eigenthümliche Verhal- ten, dass nach Philipeaux, Vulpian, Cyon, Schiff1) und einigen Schülern Hermann's 2) nach Durchschneidung des Zun- genbewegungsnerven (Nervus hypoglossus) ein Geschmacksnerv der Zunge, die Chorda des Nervus facialis, motorische Wirkung auf die Zunge bekommt, so dass jetzt bei Reizung der Chorda die Zunge sich hebt, ein Effect, welcher nach Wiederherstellung des Hypoglossus wieder schwindet. Das zeitweilige Vicariiren von Nerven ist gewiss ein auffälliger Grad functioneller An- passung.
Die Thatsächlichkeit der directen Anpassung der Knochen an neue Verhältnisse stösst nach meiner Erfahrung auf beson- deren Widerstand bei denjenigen, welche sie selber noch nicht beobachtet haben. Es erscheint daher nicht überflüssig, einen besonders demonstrativen Fall meiner eigenen Beobachtungen zu erwähnen. Er betrifft einen nicht geheilten Bruch des Schien- beines. Die beiden Enden des in der Mitte gebrochenen Knochens waren abgerundet und verdünnt, dagegen das Wadenbein in ganzer Ausdehnung auf das 6--8fache des normalen Querschnittes,
1) Arch. d. sc. physiolog. et nat. 64. p. 59. 1878.
2) Hermann, Handb. d. Physiol. Bd. I. Abth. 1. p. 131.
I. Die functionelle Anpassung.
modificirbar sind, denn im entgegengesetzten Falle würden wir schon bei Ermüdung des Muskelapparates und noch mehr bei ungleichmässiger Ermüdung der einzelnen Muskeln desselben die Fähigkeit, correcte Bewegungscombinationen auszuführen, verlieren.«
So ist die Fähigkeit der functionellen Anpassung eine Vor- bedingung der Erwerbung jeglicher körperlichen Geschicklich- keit; und die Uebung ist weiter nichts, als die Ausbildung sol- cher Anpassungen im Organismus, ja die Fixation aller Sinnes- eindrücke in der Hirnrinde muss als directe functionelle An- passung an die Aussenwelt aufgefasst werden.
Weiterhin ist hier aufzuführen das eigenthümliche Verhal- ten, dass nach Philipeaux, Vulpian, Cyon, Schiff1) und einigen Schülern Hermann’s 2) nach Durchschneidung des Zun- genbewegungsnerven (Nervus hypoglossus) ein Geschmacksnerv der Zunge, die Chorda des Nervus facialis, motorische Wirkung auf die Zunge bekommt, so dass jetzt bei Reizung der Chorda die Zunge sich hebt, ein Effect, welcher nach Wiederherstellung des Hypoglossus wieder schwindet. Das zeitweilige Vicariiren von Nerven ist gewiss ein auffälliger Grad functioneller An- passung.
Die Thatsächlichkeit der directen Anpassung der Knochen an neue Verhältnisse stösst nach meiner Erfahrung auf beson- deren Widerstand bei denjenigen, welche sie selber noch nicht beobachtet haben. Es erscheint daher nicht überflüssig, einen besonders demonstrativen Fall meiner eigenen Beobachtungen zu erwähnen. Er betrifft einen nicht geheilten Bruch des Schien- beines. Die beiden Enden des in der Mitte gebrochenen Knochens waren abgerundet und verdünnt, dagegen das Wadenbein in ganzer Ausdehnung auf das 6—8fache des normalen Querschnittes,
1) Arch. d. sc. physiolog. et nat. 64. p. 59. 1878.
2) Hermann, Handb. d. Physiol. Bd. I. Abth. 1. p. 131.
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I. Die functionelle Anpassung.
modificirbar sind, denn im entgegengesetzten Falle würden wir
schon bei Ermüdung des Muskelapparates und noch mehr bei
ungleichmässiger Ermüdung der einzelnen Muskeln desselben
die Fähigkeit, correcte Bewegungscombinationen auszuführen,
verlieren.«
So ist die Fähigkeit der functionellen Anpassung eine Vor-
bedingung der Erwerbung jeglicher körperlichen Geschicklich-
keit; und die Uebung ist weiter nichts, als die Ausbildung sol-
cher Anpassungen im Organismus, ja die Fixation aller Sinnes-
eindrücke in der Hirnrinde muss als directe functionelle An-
passung an die Aussenwelt aufgefasst werden.
Weiterhin ist hier aufzuführen das eigenthümliche Verhal-
ten, dass nach Philipeaux, Vulpian, Cyon, Schiff 1) und
einigen Schülern Hermann’s 2) nach Durchschneidung des Zun-
genbewegungsnerven (Nervus hypoglossus) ein Geschmacksnerv
der Zunge, die Chorda des Nervus facialis, motorische Wirkung
auf die Zunge bekommt, so dass jetzt bei Reizung der Chorda die
Zunge sich hebt, ein Effect, welcher nach Wiederherstellung
des Hypoglossus wieder schwindet. Das zeitweilige Vicariiren
von Nerven ist gewiss ein auffälliger Grad functioneller An-
passung.
Die Thatsächlichkeit der directen Anpassung der Knochen
an neue Verhältnisse stösst nach meiner Erfahrung auf beson-
deren Widerstand bei denjenigen, welche sie selber noch nicht
beobachtet haben. Es erscheint daher nicht überflüssig, einen
besonders demonstrativen Fall meiner eigenen Beobachtungen zu
erwähnen. Er betrifft einen nicht geheilten Bruch des Schien-
beines. Die beiden Enden des in der Mitte gebrochenen Knochens
waren abgerundet und verdünnt, dagegen das Wadenbein in
ganzer Ausdehnung auf das 6—8fache des normalen Querschnittes,
1) Arch. d. sc. physiolog. et nat. 64. p. 59. 1878.
2) Hermann, Handb. d. Physiol. Bd. I. Abth. 1. p. 131.
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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/28>, abgerufen am 24.02.2025.
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