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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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III. Nachweis der trophischen Wirkung der functionellen Reize.
rungsaufnahme eine ungleiche sein. Und da sie sich auch
schon qualitativ verschieden ausbilden, muss eine qualita-
tive und quantitative Nahrungswahl stattfinden
.
Diese Ungleichheit der Nahrungsanziehung muss um so grösser
sein, als die verschiedenen Zellen der Keimscheibe gar nicht,
wie angenommen, vollkommen gleich zur Nahrungsquelle ge-
legen sind, sondern gerade die am raschesten sich differenziren-
den und wachsenden, neben der Achse gelegenen Theile von
der Nahrungsquelle am weitesten entfernt sind. Dasselbe be-
kundet sich bei den blutlosen niederen Thieren, z. B. der
Hydra, unserem einheimischen kleinen Wasserpolypen. Auch bei
diesen Thieren finden bekanntlich besondere morphologische
Differenzirungen durch ungleich starkes Wachsthum, z. B. in
der Bildung der Tentakeln statt, obgleich das erforderliche un-
gleiche Wachsthum hier nicht auf ungleicher Vertheilung, son-
dern nur auf ungleicher Aufnahme der Nahrung beruhen kann.

Andererseits aber würde eine Zurückführung des ungleichen
Wachsthums im Embryo nach der Bildung der Blutgefässe auf
verschiedene Vertheilung der Nahrung durch dieselben bedeuten,
dass die Wachsthumsgesetze eigentlich blos in den Blutgefässen
lägen, dass die specifischen Theile nicht selbständig sich ent-
falteten, nicht nach ihnen innewohnenden, aus ihrer specifischen
chemischen Natur sich ergebenden Gesetzen wüchsen, sich ge-
stalteten und vergrösserten, sondern blos nach der Vertheilung
der Nahrung. In den Blutgefässen lägen die eigentlichen Wachs-
thumsgesetze und die specifischen Zellen, welche doch specifische
Nahrung aus der allgemeinen Ernährungsflüssigkeit auslesen
müssen, wären in Bezug auf die Quantität der Aufnahme voll-
kommen unselbständig, vollkommen abhängig allein von der
Zufuhr.

Da aber die Blutgefässe, welche die Nahrung vertheilen,
selber wieder aus Zellen bestehen, die unter Nahrungsaufnahme

III. Nachweis der trophischen Wirkung der functionellen Reize.
rungsaufnahme eine ungleiche sein. Und da sie sich auch
schon qualitativ verschieden ausbilden, muss eine qualita-
tive und quantitative Nahrungswahl stattfinden
.
Diese Ungleichheit der Nahrungsanziehung muss um so grösser
sein, als die verschiedenen Zellen der Keimscheibe gar nicht,
wie angenommen, vollkommen gleich zur Nahrungsquelle ge-
legen sind, sondern gerade die am raschesten sich differenziren-
den und wachsenden, neben der Achse gelegenen Theile von
der Nahrungsquelle am weitesten entfernt sind. Dasselbe be-
kundet sich bei den blutlosen niederen Thieren, z. B. der
Hydra, unserem einheimischen kleinen Wasserpolypen. Auch bei
diesen Thieren finden bekanntlich besondere morphologische
Differenzirungen durch ungleich starkes Wachsthum, z. B. in
der Bildung der Tentakeln statt, obgleich das erforderliche un-
gleiche Wachsthum hier nicht auf ungleicher Vertheilung, son-
dern nur auf ungleicher Aufnahme der Nahrung beruhen kann.

Andererseits aber würde eine Zurückführung des ungleichen
Wachsthums im Embryo nach der Bildung der Blutgefässe auf
verschiedene Vertheilung der Nahrung durch dieselben bedeuten,
dass die Wachsthumsgesetze eigentlich blos in den Blutgefässen
lägen, dass die specifischen Theile nicht selbständig sich ent-
falteten, nicht nach ihnen innewohnenden, aus ihrer specifischen
chemischen Natur sich ergebenden Gesetzen wüchsen, sich ge-
stalteten und vergrösserten, sondern blos nach der Vertheilung
der Nahrung. In den Blutgefässen lägen die eigentlichen Wachs-
thumsgesetze und die specifischen Zellen, welche doch specifische
Nahrung aus der allgemeinen Ernährungsflüssigkeit auslesen
müssen, wären in Bezug auf die Quantität der Aufnahme voll-
kommen unselbständig, vollkommen abhängig allein von der
Zufuhr.

Da aber die Blutgefässe, welche die Nahrung vertheilen,
selber wieder aus Zellen bestehen, die unter Nahrungsaufnahme

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[146/0160] III. Nachweis der trophischen Wirkung der functionellen Reize. rungsaufnahme eine ungleiche sein. Und da sie sich auch schon qualitativ verschieden ausbilden, muss eine qualita- tive und quantitative Nahrungswahl stattfinden. Diese Ungleichheit der Nahrungsanziehung muss um so grösser sein, als die verschiedenen Zellen der Keimscheibe gar nicht, wie angenommen, vollkommen gleich zur Nahrungsquelle ge- legen sind, sondern gerade die am raschesten sich differenziren- den und wachsenden, neben der Achse gelegenen Theile von der Nahrungsquelle am weitesten entfernt sind. Dasselbe be- kundet sich bei den blutlosen niederen Thieren, z. B. der Hydra, unserem einheimischen kleinen Wasserpolypen. Auch bei diesen Thieren finden bekanntlich besondere morphologische Differenzirungen durch ungleich starkes Wachsthum, z. B. in der Bildung der Tentakeln statt, obgleich das erforderliche un- gleiche Wachsthum hier nicht auf ungleicher Vertheilung, son- dern nur auf ungleicher Aufnahme der Nahrung beruhen kann. Andererseits aber würde eine Zurückführung des ungleichen Wachsthums im Embryo nach der Bildung der Blutgefässe auf verschiedene Vertheilung der Nahrung durch dieselben bedeuten, dass die Wachsthumsgesetze eigentlich blos in den Blutgefässen lägen, dass die specifischen Theile nicht selbständig sich ent- falteten, nicht nach ihnen innewohnenden, aus ihrer specifischen chemischen Natur sich ergebenden Gesetzen wüchsen, sich ge- stalteten und vergrösserten, sondern blos nach der Vertheilung der Nahrung. In den Blutgefässen lägen die eigentlichen Wachs- thumsgesetze und die specifischen Zellen, welche doch specifische Nahrung aus der allgemeinen Ernährungsflüssigkeit auslesen müssen, wären in Bezug auf die Quantität der Aufnahme voll- kommen unselbständig, vollkommen abhängig allein von der Zufuhr. Da aber die Blutgefässe, welche die Nahrung vertheilen, selber wieder aus Zellen bestehen, die unter Nahrungsaufnahme

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/160>, abgerufen am 23.11.2024.