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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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ja selbst in einem reinen, die einzelnen Laubkronen fast immer sehr bestimmt
von einander abheben, führt unsere Landschaftsmaler auf einen Behelf,
der in den meisten Fällen geradehin etwas Unwahres hervorbringt. Man
nimmt die Farbe zu Hülfe, um eine Baumwand zu gliedern, und scheut
sich nicht, mitten in eine Sommerlandschaft eine braune Baumkrone zu
malen, wie man sie im Spätherbst kaum zu sehen bekommt.

Es ist eine Aufgabe dieses Buches, von unseren wichtigeren deutschen
Laub- und Nadelbäumen charakteristische Baumbilder mit eingehender Be-
schreibung zu geben, um etwas dazu beizutragen, die Künstlerwelt auf
die große Bedeutung der naturwissenschaftlichen Auffassung der Landschafts-
malerei hinzuweisen.

Der aufmerksame Spaziergänger lernt in Wald und Flur die bedeu-
tungsvolle Zugabe zu einer naturwahren Landschaft würdigen, welche in
der Färbung und Begrünung des Bodens liegt. Oft stehen in einer
Waldlandschaft die Bäume ziemlich unvermittelt auf einem als geringe
Nebensache vernachlässigten Boden.

Ganz besonders spricht sich die Flüchtigkeit in der Behandlung der
armen Natur in den Vorgründen vieler Landschaften aus. Da sieht man
sehr oft wahre Phantasiegebilde, zu denen man in der Natur vergeblich
nach Vorbildern suchen würde. Gerade an kräftigen Vorgrundpflanzen
ist unsere Flora sehr reich. Was in einem Landschaftsbilde dem Stand-
punkte des Beschauers so nahe steht, daß er es, und manchmal fast in
wirklicher Größe, deutlich in seinen Einzelheiten unterscheiden kann, das
muß auch in seinen natürlichen Formen erkennbar sein. Es braucht dies
deswegen noch lange nicht bis zur botanischen Genauigkeit getrieben zu werden.

Ein nicht minder häufiger Verstoß gegen die Natur wird von den
Malern dadurch begangen, daß sie Unzusammengehöriges zusammen stellen,
oder Pflanzen an den falschen Ort bringen. Alles zu seiner Zeit und
an seinem Platze -- ist auch in der Malerei ein wohlzubeachtendes Ge-
setz. Gestalten von Wasserpflanzen auf trocknen Boden zu setzen, ist ebenso
tadelnswerth, als Blumen in Einen Strauß vereinigt, welche zu sehr
verschiedenen Zeiten blühen, Früchte auf Einem Teller, welche nicht gleich-
zeitig reifen.

Aber nicht allein Pflanzenkundiger sollte der Landschafts- und
Blumen- oder Fruchtmaler sein, sondern der erstere muß auch

ja ſelbſt in einem reinen, die einzelnen Laubkronen faſt immer ſehr beſtimmt
von einander abheben, führt unſere Landſchaftsmaler auf einen Behelf,
der in den meiſten Fällen geradehin etwas Unwahres hervorbringt. Man
nimmt die Farbe zu Hülfe, um eine Baumwand zu gliedern, und ſcheut
ſich nicht, mitten in eine Sommerlandſchaft eine braune Baumkrone zu
malen, wie man ſie im Spätherbſt kaum zu ſehen bekommt.

Es iſt eine Aufgabe dieſes Buches, von unſeren wichtigeren deutſchen
Laub- und Nadelbäumen charakteriſtiſche Baumbilder mit eingehender Be-
ſchreibung zu geben, um etwas dazu beizutragen, die Künſtlerwelt auf
die große Bedeutung der naturwiſſenſchaftlichen Auffaſſung der Landſchafts-
malerei hinzuweiſen.

Der aufmerkſame Spaziergänger lernt in Wald und Flur die bedeu-
tungsvolle Zugabe zu einer naturwahren Landſchaft würdigen, welche in
der Färbung und Begrünung des Bodens liegt. Oft ſtehen in einer
Waldlandſchaft die Bäume ziemlich unvermittelt auf einem als geringe
Nebenſache vernachläſſigten Boden.

Ganz beſonders ſpricht ſich die Flüchtigkeit in der Behandlung der
armen Natur in den Vorgründen vieler Landſchaften aus. Da ſieht man
ſehr oft wahre Phantaſiegebilde, zu denen man in der Natur vergeblich
nach Vorbildern ſuchen würde. Gerade an kräftigen Vorgrundpflanzen
iſt unſere Flora ſehr reich. Was in einem Landſchaftsbilde dem Stand-
punkte des Beſchauers ſo nahe ſteht, daß er es, und manchmal faſt in
wirklicher Größe, deutlich in ſeinen Einzelheiten unterſcheiden kann, das
muß auch in ſeinen natürlichen Formen erkennbar ſein. Es braucht dies
deswegen noch lange nicht bis zur botaniſchen Genauigkeit getrieben zu werden.

Ein nicht minder häufiger Verſtoß gegen die Natur wird von den
Malern dadurch begangen, daß ſie Unzuſammengehöriges zuſammen ſtellen,
oder Pflanzen an den falſchen Ort bringen. Alles zu ſeiner Zeit und
an ſeinem Platze — iſt auch in der Malerei ein wohlzubeachtendes Ge-
ſetz. Geſtalten von Waſſerpflanzen auf trocknen Boden zu ſetzen, iſt ebenſo
tadelnswerth, als Blumen in Einen Strauß vereinigt, welche zu ſehr
verſchiedenen Zeiten blühen, Früchte auf Einem Teller, welche nicht gleich-
zeitig reifen.

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[56/0080] ja ſelbſt in einem reinen, die einzelnen Laubkronen faſt immer ſehr beſtimmt von einander abheben, führt unſere Landſchaftsmaler auf einen Behelf, der in den meiſten Fällen geradehin etwas Unwahres hervorbringt. Man nimmt die Farbe zu Hülfe, um eine Baumwand zu gliedern, und ſcheut ſich nicht, mitten in eine Sommerlandſchaft eine braune Baumkrone zu malen, wie man ſie im Spätherbſt kaum zu ſehen bekommt. Es iſt eine Aufgabe dieſes Buches, von unſeren wichtigeren deutſchen Laub- und Nadelbäumen charakteriſtiſche Baumbilder mit eingehender Be- ſchreibung zu geben, um etwas dazu beizutragen, die Künſtlerwelt auf die große Bedeutung der naturwiſſenſchaftlichen Auffaſſung der Landſchafts- malerei hinzuweiſen. Der aufmerkſame Spaziergänger lernt in Wald und Flur die bedeu- tungsvolle Zugabe zu einer naturwahren Landſchaft würdigen, welche in der Färbung und Begrünung des Bodens liegt. Oft ſtehen in einer Waldlandſchaft die Bäume ziemlich unvermittelt auf einem als geringe Nebenſache vernachläſſigten Boden. Ganz beſonders ſpricht ſich die Flüchtigkeit in der Behandlung der armen Natur in den Vorgründen vieler Landſchaften aus. Da ſieht man ſehr oft wahre Phantaſiegebilde, zu denen man in der Natur vergeblich nach Vorbildern ſuchen würde. Gerade an kräftigen Vorgrundpflanzen iſt unſere Flora ſehr reich. Was in einem Landſchaftsbilde dem Stand- punkte des Beſchauers ſo nahe ſteht, daß er es, und manchmal faſt in wirklicher Größe, deutlich in ſeinen Einzelheiten unterſcheiden kann, das muß auch in ſeinen natürlichen Formen erkennbar ſein. Es braucht dies deswegen noch lange nicht bis zur botaniſchen Genauigkeit getrieben zu werden. Ein nicht minder häufiger Verſtoß gegen die Natur wird von den Malern dadurch begangen, daß ſie Unzuſammengehöriges zuſammen ſtellen, oder Pflanzen an den falſchen Ort bringen. Alles zu ſeiner Zeit und an ſeinem Platze — iſt auch in der Malerei ein wohlzubeachtendes Ge- ſetz. Geſtalten von Waſſerpflanzen auf trocknen Boden zu ſetzen, iſt ebenſo tadelnswerth, als Blumen in Einen Strauß vereinigt, welche zu ſehr verſchiedenen Zeiten blühen, Früchte auf Einem Teller, welche nicht gleich- zeitig reifen. Aber nicht allein Pflanzenkundiger ſollte der Landſchafts- und Blumen- oder Fruchtmaler ſein, ſondern der erſtere muß auch

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/80>, abgerufen am 22.12.2024.