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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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gefallen, aber es ist sehr die Frage, ob eine solche Landschaft ein Kunst-
werk und nicht vielmehr ein Kunststück würde genannt werden können.
Ich sage ausdrücklich: es wäre dies die Frage, denn wir wissen es nicht,
weil ein solches Bild wohl noch niemals gemalt worden ist. Es ist jedoch
möglich, daß unser durch die Photographie bereits an die höchste Natur-
wahrheit gewöhntes Auge durch eine solche Landschaft nicht unangenehm
berührt werden würde, vorausgesetzt, daß die Lichtwirkung und Perspektive
darin gut behandelt wäre. Die bekannten Landschaftsspiegel lassen uns
vermuthen, daß eine solche Landschaft gefallen könnte.

Der etwas widerliche Eindruck, den die bis auf das kleinste Fältchen
und bis auf die Farbwölkchen in der Regenbogenhaut des Auges ausge-
führten Köpfe Denners machen, würde bei gleich ausgeführten Landschaften
nicht zu fürchten sein, weil bei diesen nicht das Erschreckende der
Naturwahrheit vorliegt, was den Dennerschen Bildern eigen ist, bei
denen man glaubt, sie müßten jeden Augenblick den Mund öffnen oder
das Auge bewegen.

Ich will aber einer soweit gehenden Naturwahrheit der Landschaften
nicht im Ernst das Wort reden. Meine oder vielmehr der Naturwissen-
schaft Forderungen an die Landschaftsmalerei, denn bei der bleibe ich zu-
nächst stehen, bewegen sich in engeren Grenzen.

In diese Forderungen würde sofort alle Welt einstimmen, wenn aller
Welt diejenige Naturkenntniß eigen wäre, die nach meiner Ansicht aus
einer Landschaft hervortreten sollte. Der Mangel dieser Naturkenntniß,
welcher leider im Allgemeinen zu beklagen ist, kommt den Leistungen
unserer Maler zu Gute; man erklärt sich mit ihnen zufrieden, weil man
daran nichts vermißt. Dennoch habe ich mich davon überzeugt, daß auch
ohne diese Kenntniß eine Landschaft, in der die verschiedenen Baumarten
in ihren charakteristischen Merkmalen der Stammbildung, der Aststellung,
der Belaubung deutlich hervortraten, größeren Beifall fand, als andere,
die eben nur Baumschlag in einer beliebigen schablonenmäßigen Technik
zeigten. Es beruht diese einigermaaßen auffallende Erscheinung dennoch
ganz natürlich darauf, daß das hundertmalige Sehen von Buchen und
Eichen, Rüstern, Linden, Fichten, Kiefern, von diesen Baumarten allen
im Hirn der Leute Erinnerungsgebilde niedergelegt hat, welche durch ge-
malte Bilder jener Baumarten wachgerufen werden, auch wenn man sich

gefallen, aber es iſt ſehr die Frage, ob eine ſolche Landſchaft ein Kunſt-
werk und nicht vielmehr ein Kunſtſtück würde genannt werden können.
Ich ſage ausdrücklich: es wäre dies die Frage, denn wir wiſſen es nicht,
weil ein ſolches Bild wohl noch niemals gemalt worden iſt. Es iſt jedoch
möglich, daß unſer durch die Photographie bereits an die höchſte Natur-
wahrheit gewöhntes Auge durch eine ſolche Landſchaft nicht unangenehm
berührt werden würde, vorausgeſetzt, daß die Lichtwirkung und Perſpektive
darin gut behandelt wäre. Die bekannten Landſchaftsſpiegel laſſen uns
vermuthen, daß eine ſolche Landſchaft gefallen könnte.

Der etwas widerliche Eindruck, den die bis auf das kleinſte Fältchen
und bis auf die Farbwölkchen in der Regenbogenhaut des Auges ausge-
führten Köpfe Denners machen, würde bei gleich ausgeführten Landſchaften
nicht zu fürchten ſein, weil bei dieſen nicht das Erſchreckende der
Naturwahrheit vorliegt, was den Dennerſchen Bildern eigen iſt, bei
denen man glaubt, ſie müßten jeden Augenblick den Mund öffnen oder
das Auge bewegen.

Ich will aber einer ſoweit gehenden Naturwahrheit der Landſchaften
nicht im Ernſt das Wort reden. Meine oder vielmehr der Naturwiſſen-
ſchaft Forderungen an die Landſchaftsmalerei, denn bei der bleibe ich zu-
nächſt ſtehen, bewegen ſich in engeren Grenzen.

In dieſe Forderungen würde ſofort alle Welt einſtimmen, wenn aller
Welt diejenige Naturkenntniß eigen wäre, die nach meiner Anſicht aus
einer Landſchaft hervortreten ſollte. Der Mangel dieſer Naturkenntniß,
welcher leider im Allgemeinen zu beklagen iſt, kommt den Leiſtungen
unſerer Maler zu Gute; man erklärt ſich mit ihnen zufrieden, weil man
daran nichts vermißt. Dennoch habe ich mich davon überzeugt, daß auch
ohne dieſe Kenntniß eine Landſchaft, in der die verſchiedenen Baumarten
in ihren charakteriſtiſchen Merkmalen der Stammbildung, der Aſtſtellung,
der Belaubung deutlich hervortraten, größeren Beifall fand, als andere,
die eben nur Baumſchlag in einer beliebigen ſchablonenmäßigen Technik
zeigten. Es beruht dieſe einigermaaßen auffallende Erſcheinung dennoch
ganz natürlich darauf, daß das hundertmalige Sehen von Buchen und
Eichen, Rüſtern, Linden, Fichten, Kiefern, von dieſen Baumarten allen
im Hirn der Leute Erinnerungsgebilde niedergelegt hat, welche durch ge-
malte Bilder jener Baumarten wachgerufen werden, auch wenn man ſich

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[54/0078] gefallen, aber es iſt ſehr die Frage, ob eine ſolche Landſchaft ein Kunſt- werk und nicht vielmehr ein Kunſtſtück würde genannt werden können. Ich ſage ausdrücklich: es wäre dies die Frage, denn wir wiſſen es nicht, weil ein ſolches Bild wohl noch niemals gemalt worden iſt. Es iſt jedoch möglich, daß unſer durch die Photographie bereits an die höchſte Natur- wahrheit gewöhntes Auge durch eine ſolche Landſchaft nicht unangenehm berührt werden würde, vorausgeſetzt, daß die Lichtwirkung und Perſpektive darin gut behandelt wäre. Die bekannten Landſchaftsſpiegel laſſen uns vermuthen, daß eine ſolche Landſchaft gefallen könnte. Der etwas widerliche Eindruck, den die bis auf das kleinſte Fältchen und bis auf die Farbwölkchen in der Regenbogenhaut des Auges ausge- führten Köpfe Denners machen, würde bei gleich ausgeführten Landſchaften nicht zu fürchten ſein, weil bei dieſen nicht das Erſchreckende der Naturwahrheit vorliegt, was den Dennerſchen Bildern eigen iſt, bei denen man glaubt, ſie müßten jeden Augenblick den Mund öffnen oder das Auge bewegen. Ich will aber einer ſoweit gehenden Naturwahrheit der Landſchaften nicht im Ernſt das Wort reden. Meine oder vielmehr der Naturwiſſen- ſchaft Forderungen an die Landſchaftsmalerei, denn bei der bleibe ich zu- nächſt ſtehen, bewegen ſich in engeren Grenzen. In dieſe Forderungen würde ſofort alle Welt einſtimmen, wenn aller Welt diejenige Naturkenntniß eigen wäre, die nach meiner Anſicht aus einer Landſchaft hervortreten ſollte. Der Mangel dieſer Naturkenntniß, welcher leider im Allgemeinen zu beklagen iſt, kommt den Leiſtungen unſerer Maler zu Gute; man erklärt ſich mit ihnen zufrieden, weil man daran nichts vermißt. Dennoch habe ich mich davon überzeugt, daß auch ohne dieſe Kenntniß eine Landſchaft, in der die verſchiedenen Baumarten in ihren charakteriſtiſchen Merkmalen der Stammbildung, der Aſtſtellung, der Belaubung deutlich hervortraten, größeren Beifall fand, als andere, die eben nur Baumſchlag in einer beliebigen ſchablonenmäßigen Technik zeigten. Es beruht dieſe einigermaaßen auffallende Erſcheinung dennoch ganz natürlich darauf, daß das hundertmalige Sehen von Buchen und Eichen, Rüſtern, Linden, Fichten, Kiefern, von dieſen Baumarten allen im Hirn der Leute Erinnerungsgebilde niedergelegt hat, welche durch ge- malte Bilder jener Baumarten wachgerufen werden, auch wenn man ſich

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/78>, abgerufen am 22.12.2024.