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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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den wir nicht für gleichbedeutend mit den Stacheln*) einer Rose zu
halten haben, welche blos Oberhautgebilde und daher sowohl leicht abzu-
stoßen sind als auch in kurzer Zeit meist von selbst abfallen, während ein
Dorn ein bleibendes Axengebilde sind. Physiologisch genommen ist ein
Dorn ein vollkommner Kurztrieb, der anstatt wie es diesen sonst eigen ist,
an seiner Spitze eine sehr entwicklungsfähige Knospe zu haben, eben sich
in eine jeder weiteren Längenentwicklung unfähige Spitze abschließt. Dazu
ist dieser zum Dorn gewordene Kurztrieb auch ein Vorgriff, eine Pro-
lepsis (S. 81.), denn er tritt stets aus der Achsel des noch stehenden
Blattes und mit diesem gleichzeitig hervor. An einem solchen Dorn finden
wir deutlich unterschieden Mark, Holz und Rinde.

Die Dornen finden sich in der Regel nur an den kräftigen Lang-
trieben und zwar meist in dem mittleren Theile derselben und auch an
diesem nicht in jeder Blattachsel. Es kann uns auch nicht wundern, in
dem Auftreten dieser Dornen keine feste Regel zu finden, da dies ja bei
den übrigen Kurztrieben auch nicht der Fall ist.

Die Knospe des Weißdorns ist sehr klein, kugelig, meist braun-
roth gefärbt.

Wild erwächst der Weißdorn zu einem knickigen weitschweifigen Busche
mit höchstens einige Zoll starken braungrau berindeten Stämmchen; die
schwächeren Zweige haben eine aschgraue Rinde. Gut gewachsene astreiche
Büsche haben eine schöne tief herabreichende glänzend grün belaubte
Krone, welcher zur Blüthenzeit die an bogenförmig sich herausbiegenden
Zweigen oft zu 6--8 nebeneinanderstehenden blühenden Kurztriebe einen
großen Schmuck verleihen.

Wenn man die folgende Art als eine wirklich zu unterscheidende Art
gelten läßt, so giebt es vom gemeinen Weißdorn keine eigentlichen Ab-
arten, wohl aber unzählige Wandelformen der Blätter und Nebenblättchen,
die sich aber oft an einem und demselben ruhig erwachsenen Busche, noch
vielmehr aber an den in der Hecke oft beschnittenen finden. Fig. LXXVII.
1. und 2. geben die normale Blattform des frei erwachsenen Busches,

*) Die Volkssprache verstößt gegen die wissenschaftliche Auffassung, wenn sie den
Rosen Dornen zuschreibt.

den wir nicht für gleichbedeutend mit den Stacheln*) einer Roſe zu
halten haben, welche blos Oberhautgebilde und daher ſowohl leicht abzu-
ſtoßen ſind als auch in kurzer Zeit meiſt von ſelbſt abfallen, während ein
Dorn ein bleibendes Axengebilde ſind. Phyſiologiſch genommen iſt ein
Dorn ein vollkommner Kurztrieb, der anſtatt wie es dieſen ſonſt eigen iſt,
an ſeiner Spitze eine ſehr entwicklungsfähige Knospe zu haben, eben ſich
in eine jeder weiteren Längenentwicklung unfähige Spitze abſchließt. Dazu
iſt dieſer zum Dorn gewordene Kurztrieb auch ein Vorgriff, eine Pro-
lepſis (S. 81.), denn er tritt ſtets aus der Achſel des noch ſtehenden
Blattes und mit dieſem gleichzeitig hervor. An einem ſolchen Dorn finden
wir deutlich unterſchieden Mark, Holz und Rinde.

Die Dornen finden ſich in der Regel nur an den kräftigen Lang-
trieben und zwar meiſt in dem mittleren Theile derſelben und auch an
dieſem nicht in jeder Blattachſel. Es kann uns auch nicht wundern, in
dem Auftreten dieſer Dornen keine feſte Regel zu finden, da dies ja bei
den übrigen Kurztrieben auch nicht der Fall iſt.

Die Knospe des Weißdorns iſt ſehr klein, kugelig, meiſt braun-
roth gefärbt.

Wild erwächſt der Weißdorn zu einem knickigen weitſchweifigen Buſche
mit höchſtens einige Zoll ſtarken braungrau berindeten Stämmchen; die
ſchwächeren Zweige haben eine aſchgraue Rinde. Gut gewachſene aſtreiche
Büſche haben eine ſchöne tief herabreichende glänzend grün belaubte
Krone, welcher zur Blüthenzeit die an bogenförmig ſich herausbiegenden
Zweigen oft zu 6—8 nebeneinanderſtehenden blühenden Kurztriebe einen
großen Schmuck verleihen.

Wenn man die folgende Art als eine wirklich zu unterſcheidende Art
gelten läßt, ſo giebt es vom gemeinen Weißdorn keine eigentlichen Ab-
arten, wohl aber unzählige Wandelformen der Blätter und Nebenblättchen,
die ſich aber oft an einem und demſelben ruhig erwachſenen Buſche, noch
vielmehr aber an den in der Hecke oft beſchnittenen finden. Fig. LXXVII.
1. und 2. geben die normale Blattform des frei erwachſenen Buſches,

*) Die Volksſprache verſtößt gegen die wiſſenſchaftliche Auffaſſung, wenn ſie den
Roſen Dornen zuſchreibt.
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[506/0558] den wir nicht für gleichbedeutend mit den Stacheln *) einer Roſe zu halten haben, welche blos Oberhautgebilde und daher ſowohl leicht abzu- ſtoßen ſind als auch in kurzer Zeit meiſt von ſelbſt abfallen, während ein Dorn ein bleibendes Axengebilde ſind. Phyſiologiſch genommen iſt ein Dorn ein vollkommner Kurztrieb, der anſtatt wie es dieſen ſonſt eigen iſt, an ſeiner Spitze eine ſehr entwicklungsfähige Knospe zu haben, eben ſich in eine jeder weiteren Längenentwicklung unfähige Spitze abſchließt. Dazu iſt dieſer zum Dorn gewordene Kurztrieb auch ein Vorgriff, eine Pro- lepſis (S. 81.), denn er tritt ſtets aus der Achſel des noch ſtehenden Blattes und mit dieſem gleichzeitig hervor. An einem ſolchen Dorn finden wir deutlich unterſchieden Mark, Holz und Rinde. Die Dornen finden ſich in der Regel nur an den kräftigen Lang- trieben und zwar meiſt in dem mittleren Theile derſelben und auch an dieſem nicht in jeder Blattachſel. Es kann uns auch nicht wundern, in dem Auftreten dieſer Dornen keine feſte Regel zu finden, da dies ja bei den übrigen Kurztrieben auch nicht der Fall iſt. Die Knospe des Weißdorns iſt ſehr klein, kugelig, meiſt braun- roth gefärbt. Wild erwächſt der Weißdorn zu einem knickigen weitſchweifigen Buſche mit höchſtens einige Zoll ſtarken braungrau berindeten Stämmchen; die ſchwächeren Zweige haben eine aſchgraue Rinde. Gut gewachſene aſtreiche Büſche haben eine ſchöne tief herabreichende glänzend grün belaubte Krone, welcher zur Blüthenzeit die an bogenförmig ſich herausbiegenden Zweigen oft zu 6—8 nebeneinanderſtehenden blühenden Kurztriebe einen großen Schmuck verleihen. Wenn man die folgende Art als eine wirklich zu unterſcheidende Art gelten läßt, ſo giebt es vom gemeinen Weißdorn keine eigentlichen Ab- arten, wohl aber unzählige Wandelformen der Blätter und Nebenblättchen, die ſich aber oft an einem und demſelben ruhig erwachſenen Buſche, noch vielmehr aber an den in der Hecke oft beſchnittenen finden. Fig. LXXVII. 1. und 2. geben die normale Blattform des frei erwachſenen Buſches, *) Die Volksſprache verſtößt gegen die wiſſenſchaftliche Auffaſſung, wenn ſie den Roſen Dornen zuſchreibt.

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/558>, abgerufen am 17.09.2024.